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„Gehörst Du mir?“

Heimlicher Hit lesbischer Lesezirkel: „Aimée und Jaguar“, eine Liebe im Kriege  ■ Von Klaudia Brunst

Es gibt nicht viele Geschichten über uns. Weshalb wir die wenigen, die man gelegentlich hören, sehen, lesen kann, derart verschlingen, als hätten wir bis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch nie davon gehört, daß sich zwei Frauen lieben könnten. Neuerdings wurde der hiesigen Gemeinde eine neue Geschichte überantwortet. Eine wunderbar romantische, entsetzlich tragische, herzergreifend treue. Kurzum: Eine Romanze, so schön, als hätte sie sich jemand ausgedacht. Dabei ist die Geschichte von „Aimée und Jaguar“ zu allem Überfluß auch noch wahr. Und viel komplizierter, als die Gemeinde es gerne hätte.

Lilly Wust ist 1942 gerade 29 Jahre alt, Mutter von vier Söhnen und Gattin eines Nazis, der auch „ein bißchen Antisemit“ war, wie sie zugeben muß. Obwohl die Kinder prächtig gedeihen, die Geschäfte ihres Mannes gut gehen, ist Lilly doch schon lange nicht mehr zufrieden: „Ich bin im Grunde genommen darauf dressiert worden, eine Familie zu haben“, erinnert sie sich. Und so habe sie auch lange gelebt. „Kinderkriegen, Windeln, Haushalt, Mann besorgen.“ Bis eines Tages eine junge Frau namens Felice in ihr Leben tritt. Eine lebenslustige, charmante, ja geradezu draufgängerische Person, die es von Anfang an auf Lilly abgesehen hat.

Und gerade so, wie sie sich von ihrem Ehemann Günther hat heiraten lassen, läßt sich Lilly nun von Felice becircen, willig läßt sie sich bezaubern und schließlich erobern. Am 31. März 1943, gerade war es endlich zu den ersten Zärtlichkeiten gekommen, schreibt „Aimée“, wie Felice ihre Eroberung nun zärtlich nennt, an ihre neue Freundin „Jaguar“: „Ach Felice, das Schönste, was ich mir vom Schicksal erhoffe, ist ein anhaltendes Glück. Du, ich möchte lange, sehr lange mit Dir leben, hörst Du? Und das Leben ist so schön, so wundervoll. Felice, ohne Einschränkung – gehörst Du mir? Nur mir? Bitte, wenigstens ziemlich lange Zeit, bitte!“

„Ich glaube nicht, daß Jaguar bei Aimée geblieben wäre“, schreibt Erica Fischer, Autorin von „Aimée und Jaguar“ im Nachwort zu ihrem Reportageroman. So wie sie die Jüdin Felice Schragenheim in verschiedenen Erinnerungen von Augenzeugen, in der Rekonstrukion durch hinterlassene Schriftstücke, in den Erzählungen von Lilly Wust selbst präsentiert, scheint ein glückliches Ende für diese Liebesbeziehung kaum vorstellbar.

Sicher hatte sich Felice nicht nur aus Berechnung auf die Mutterkreuzträgerin Lilly gestürzt, um so in sicherem Versteck die Illegalität zu überleben. Sicher hat der Jaguar seine Aimée wirklich geliebt. Aber was, wenn der Krieg einmal zu Ende gewesen wäre? Hätte Lilly ihren Jaguar ernstlich halten können?

Lilly muß den für Friedenszeiten zwangsläufig herannahenden Verlust geahnt haben. Im Sommer 1944 war Felice von der Gestapo in ihrem Versteck aufgestöbert worden. Als sie im August 1945 immer noch nicht aus Theresienstadt zurückkehrt ist, und sich Lilly also zwangsläufig mit dem möglichen Tod ihrer Freundin auseinandersetzen muß, schreibt Lilly in ihr Tagebuch: „Und tief im Herzen drin / bin letzten Endes ich gelassen. / Es hat für mich doch einen Sinn: / Du wirst mich lebend nie verlassen!“

Lilly Wusts weiteres Leben ist rasch erzählt und trotzdem nicht frei von Tragik. Spät muß sie ihre Hoffnungen auf ein glückliches Ende ganz aufgeben. Im Frühjahr 1948 wird die Jüdin Felice Schragenheim gerichtlich für tot erklärt. In der gleichen Zeit wird Lilly von ihrem im Krieg gefallenen Ehemann Günther schuldig geschieden, ihr Anspruch auf Kriegswitwenrente verfällt. Um sich und die vier Kinder durchzubringen, heiratet sie zwei Jahre später ein zweites Mal. Es ist keine glückliche Ehe. Längst hat sich Aimée von einem Leben im Diesseits verabschiedet, hat sich in die glückliche Vergangenheit zurückgezogen. Unaufhaltsam spinnt sich Lilly in einen Kokon aus wohlmeinender Erinnerung ein. In der minutiösen Tagebuchrekonstruktion der wenigen glücklichen Monate mit ihrer großen Liebe Felice vereinnahmt Aimée ihre Freundin immer mehr. Was der ungetrübten Rückschau hinderlich ist, wird verdrängt. Kein Gedanke an die Mitschuld, die sie sich als Mutterkreuzträgerin und Nazigattin aufgeladen hat.

„Eine trübe Schicht von Unbestimmtheiten liegt über zehn Jahren ihres Lebens“, muß Erica Fischer im Laufe ihrer vielen Gespräche mit Lilly Wust erkennen. Wahr ist in der Erinnerung nur noch das, was die junge Aimée nach dem Krieg – also unter dem starken Eindruck des soeben erlittenen Verlustes – in ihr Tagebuch schrieb.

Daß Lilly Wust tatsächlich „ganze Passagen“ dieser Aufzeichnungen „auswendig kann und immer wieder dieselben Sätze mit denselben Emotionen“ repetiert, wie Erica Fischer im Nachwort anmerkt, stellte die Wust in einer Talk-Show mit Alfred Biolek eindrucksvoll unter Beweis. Der Moderator kann ihre Erzählungen, die sich so fast wörtlich in „Aimée und Jaguar“ nachlesen lassen, kaum stoppen. Wie schon Erica Fischer erkennen mußte, verläßt die Begegnung auch hier schnell die Ebene des Gespräches und wird zur rapportierten Erinnerung. Biolek, der für sich in Anspruch nimmt, ihr „wunderschönes Buch“ gelesen zu haben, stellt Lilly Wust tatsächlich als Autorin von „Aimée und Jaguar“ vor. Er unterliegt damit einem Irrtum, der sich in der Rezeption des Buches spiegelt: Lilly Wust ist seit Erscheinen des Buches – vor allem, aber nicht nur in der Berliner Presse – zur ungebrochenen Heldin avanciert. Sie, die schon vor geraumer Zeit verdientermaßen einen Orden erhielt, weil sie während des Krieges vier Jüdinnen vor den NS-Schergen versteckte, steht jetzt auch als ein an Liebessehnsucht leidendes NS- Opfer im Rampenlicht. Kurze und lange Portraits der Wust ersetzen ein ums andere Mal nicht nur die Erinnerung an das Schicksal der Jüdin Schragenheim, sondern auch die kritische Würdigung des Buches. Naiv fassen diese Texte eine Liebesgeschichte zusammen, beziehungsweise das, was Lillys Erinnerung daraus gemacht hat.

Die Leistungen der Autorin Fischer werden kaum je gewürdigt. Ihre facettenreiche Schilderung der Hauptperson, das minutiöse Zusammentragen verschiedener Perspektiven, die mühevolle Rekonstruktion der Geschichte hinter der Geschichte – all das überlagert die allumfassende Selbstinszenierung der Lilly Wust, die sich von Alfred Biolek als Lesbe feiern läßt, obwohl sie die weit überwiegende Zeit ihres Lebens in Männerbeziehungen lebte, die zum Judentum konvertierte und ihre frühe Nazigesinnung einfach vergessen hat.

„Ich habe nicht ohne einen Schuß eigener Selbstgerechtigkeit geschrieben“, schreibt die Jüdin Erica Fischer, „denn schwer erträglich war mir das einvernehmende Wir. Sie hat sich zu den Juden hingedrängelt, sagte mir ihr Sohn Bernd. (...) Ich erlaube ihr

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nicht, den Opferstatus für sich zu beanspruchen, die Grenze zu Felice, zu meiner Mutter und zu mir selbst hüte ich streng, eifersüchtig auf mein kleines Stückchen Identität.“ Sicher ist die Grenze zwischen kritischer Distanz und beginnender Selbstgerechtigkeit fließend. Vielleicht hätte eine weniger beteiligte Autorin ein weniger beteiligtes Buch geschrieben. Kein Grund aber, ihre disparate Geschichte so lange so konsequent gegen den Strich zu lesen, bis daraus eine ganz andere, eine heldische, wird.

Obwohl doch auch ihr nur die Schilderungen der Autorin Fischer zur Beurteilung vorliegen dürften, kommt zum Beispiel Cornelia Filter in der Frauenzeitschrift Emma zu dem verteidigenden Schluß, daß Lilly Wust doch „bestenfalls eine naive Mitläuferin“ gewesen sein kann. Offenbar unendlich gekränkt, daß die Romanze von Aimée und Jaguar nicht uneingeschränkt heldentauglich ist, wirft die Feministin Filter der Autorin Fischer schließlich sogar deren Heterosexualität vor: „Im Nachwort erfährt die Leserin“, so Filter in der Emma, „daß die Autorin verheiratet ist. Während sie sich mit einer lesbischen Liebe beschäftigte, hat ihr Ehemann, ,der Moralist Marin, 1.500 Menschen gerettet‘, in Bosnien. Schuldbewußt fragt sich Erica Fischer: ,Sollte ich aufhören zu schreiben und an seine Seite eilen?‘ Das wäre gar keine schlechte Idee gewesen“.

Man fragt sich angesichts solcher Rezeptionshaltungen, warum „Aimée und Jaguar“ eigentlich derzeit der Renner in den lesbischen Lesezirkeln geworden ist. Sicher, es gibt nicht viele Geschichten über uns. Aber müssen wir sie deshalb gleich ohne jedes Geschichtsbewußtsein annektieren?

Erica Fischer: „Aimée und Jaguar. Eine Frauenliebe“, Kiepenheuer & Witsch, geb., mit zahlreichen Schwarzweißfotos, 39,80 DM

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