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In der Prärie der Phantasie

„Volkstümlichkeit“, seltsame Wesen und semiologische Katastrophen im neuen Deutschland, wie der Populärkulturforscher Georg Seeßlen sie sieht: Viel Hinternhaftes und noch mehr symbolische Mobilmachung  ■ Von Thomas Groß

„Typisch Schürzenjäger“ heißt das jüngste Album der Zillertaler Schürzenjäger, und das knallt natürlich voll plakativ rein. Andererseits, da hat der Promo-Zettel auch wieder nicht unrecht: „Was so typisch für diese Gruppe ist, läßt sich gar nicht beantworten.“ Die Zillertaler Schürzenjäger greifen nämlich „die unterschiedlichsten Themen auf. Tabus kennen sie weder in ihren Texten noch bei den musikalischen Einflüssen.“

Das ist wohl wahr. Selbst der unversierteste Betrachter erkennt auf Anhieb, daß hier keine Hinterwäldler traditionellen Typus' am Werk sind, sondern phantastisch- eklektizistische Wesen, die ihre Volkspoprockmusik genauso hemmungslos mit Mozart und Strauß versetzen wie mit „flotten“ Reggae-Rhythmen. Many things go. Auch ein Lederhosenbumslied wie „Nakkapazzi“ (Refrain: „Alloan samma heit/Da gibts koane Tricks/Da fix i di foxi/Da fox i di fix“) bedeutet keineswegs, daß die Band sich nicht im nächsten Moment wieder gegen gesamtgesellschaftliche Verdrängung und Fremdenhaß aussprechen kann („Gestern wird morgen“). Wenn man nun noch bedenkt, daß das supererfolgreiche Sextett Gefallen daran findet, in seinen Phantasietrachten auf schweren Harley-Davidson-Motorrädern langhaarig durch die Lande zu brummen, sind wir schon mittendrin in jener Versuppung der Bezüge und Traditionstexte, die Georg Seeßlen „semiologische Katastrophe“ nennt.

Daß es sich dabei um einen der künstlerischen Montage verwandten Prozeß handelt, ist nichts Neues, ebensowenig wie die Erkenntnis, daß die moderne Sinnindustrie – typisch Schürzenjäger! – die künstlerischen Avantgarden in punkto barocker Prächtigkeit längst an die Wand gedrückt, gleichsam ins Knie gefickt hat. Neu allerdings ist der Drive, den diese Entwicklung auf dem Gebiet der unterhaltsamen Produktion von „Volkstümlichkeit“ genommen hat. In den achtziger Jahren, so Seeßlen in seinem bemerkenswerten Büchlein über „die gnadenlose Gemütlichkeit im neuen Deutschland“, hat das Genre seine unterirdische Geschichte der Nachkriegszeit hinter sich gelassen, um in den Neunzigern medial zu „explodieren“. „Volksmusik“ – das wird in seiner Offensichtlichkeit gern übersehen – ist die totale Populärkultur eines Schattendeutschland, das seine eigene semiotische Vergiftung triumphal genießt. Das wiederum stellt den Populärkulturforscher vor eminente methodische Probleme – hat er es doch nicht nur mit einer semiotischen Feinstruktur zu tun, die von der traditionellen Ideologiekritik unerreicht bleibt; es ist auch ein gewisser Masochismus vonnöten, den Clinch mit diesen von Gewalt geprägten und Gewalt verströmenden Sinnverschlingungen immer wieder neu einzugehen. Der Kritiker als Pop-Forscher ist ein Guerilla-Semiotiker. Anders ausgedrückt: Es nützt ja nichts, daß er seinen Phänomenen nur wie der heilige St. Georg gegenübertritt – gerüstet mit dem Speer der Vernunft, dem Messer der Kritik und anderem phallischen Inventar –, er muß auch eine geheime, „weibliche“ Verschwisterung mit dem Banalen und Unreinen in sich fühlen, eine Faszination durch die permanenten Sinnverwehungen in der Landschaft des Populären.

Anders wäre auch gar nicht denkbar, die Kommunikationsstruktur des Stammtisches quasi von innen heraus zu konstruieren, wie Seeßlen das tut: Wo der gewöhnliche Feuilletonist nur „Dumpfheit“ am Werk sieht, tut sich bei geduldiger Betrachtung ein „mythopoetischer Gnadenort“ auf, an dem Götter und Göttinnen des Bieres in strenger Ökonomie über die Regression des Gastes wachen. Ebenfalls überraschend die These, die sogenannte „Alpengeilheit“ im Sex- und Jodelfilm der siebziger Jahre sei die Äußerungsform einer Modernisierung der südlichen Provinzen auf dem Wege der Sexualisierung der Gastronomie – wenngleich sie sich nachher an Filmen wie „Das Love-Hotel in Tirol“ und „Urlaubsgrüße aus dem Unterhöschen“ nur allzu schlagend belegen läßt.

Die eigentliche Leistung dieser verstreuten Forschungen allerdings liegt im close reading der Erscheinungsform, in der die neue Volkstümlichkeit zweifellos am eigentlichsten kulminiert: der „volkstümlichen“ Fernsehshow. Durch panisches Hinsehen und analytische Zerlegung im freien Fall gelangt Seeßlen zu einer Art erzählter Soziologie, die einiges an Zugängen in sich mischt. Es ist eine Kombination von strukturalistischer Mythenbeschreibung, „journalistischer“ Aphorisierung, nicht unmittelbar genitaler Pornographie und Nouveau Roman, die den Heimatforscher in die Lage versetzt, die diversen Subtexte der „Volkstümlichkeit“ zu entziffern. Natürlich klebt dieses Vorgehen so eng an Sprache und Material, daß sich „Ergebnisse“ nicht ohne hohe Reibungsverluste referieren lassen. Nur soviel: Die Volkspopprodukte der Unterhaltungsindustrie sind immer auch mythische Versöhnungsangebote, in denen die vom Fortschritt Gebeutelten, die ewigen Modernisierungsverlierer sich in eine Harmonie mit dem Volkskörper hineinträumen können. Was keineswegs heißt, daß das „Volkstümliche“ – im übrigen die bislang einzige gemeinsame Kulturleistung des vereinigten Deutschlands – frei von Aggressionen wäre. In der „Prärie der Phantasie“ (Zillertaler Schürzenjäger) ist einiges los: Immerzu wird irgendwo einmarschiert, aufgespielt, symbolisch mobilgemacht, stets wird ein multiples sexuelles Zentrum hysterisch umkreist und aggressiv verschoben. Ab dem zweiten und dritten Subtext zieht sich diese krude Mischung von Bauernstube, Kirchweih und Reichsparteitag dann zu solch universeller „Hinternhaftigkeit“ (Seeßlen) zusammen, daß die Lektüre weh zu tun beginnt.

Andererseits löst sich die Textur des Volkstümlichen aber just an den Punkten, an denen alles klar zu werden scheint („Faschismus“), auch schon wieder auf. Gibt es „das Volk“ überhaupt noch, wie gerade im Prozeß der „Wiedervereinigung“ (der ja zeitgleich mit dem Siegeszug der „Volksmusik“ ins Abendprogramm verlief) so oft behauptet wurde? Seeßlen stellt fest, daß der Bedarf an „Volk“ um so vieles größer ist als die Wirklichkeit, daß der industriellen Produktion von „Tümlichkeit“ paradoxerweise kaum noch eine greifbare Realität entspricht. „Volk“ ist ein Zombie, ein grenzenlos dehnbares Substrat aus „männlicher“ Agressions- und „weiblicher“ Trostphantasie, und niemand kann sagen, ob er sich in dieser Virtualität nur endlos reproduzieren will oder eines Tages als Frankensteins Volkssturm zurückkehrt.

Bloß aufzuhalten ist er offensichtlich nicht. Und deshalb liegen die Puhdys, eigentlich irgendwie auch Volksmusikanten, nicht so daneben, wenn sie singen „Wir haben keeeiiiiine Ahnung, was uns noch alles blüht“.

Georg Seeßlen: „Volks Tümlichkeit. Über die gnadenlose Gemütlichkeit im neuen Deutschland“. Verlag Weißer Stein, 150 S., 20 DM

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