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„Es gibt sadistische Vorfälle“

■ Polizei leitete gestern Ermittlungen gegen einen Kollegen ein, der in Bernau Vietnamesen mißhandelt haben soll

Berlin (taz) – Sie stehen an den U- und S-Bahn-Stationen, immer in Gruppen und immer mit prall gefüllten Plastiktüten: die vietnamesischen Zigarettenhändler in Berlin und Brandenburg. Sie werden vom Zoll gejagd und manchmal von der Polizei geschlagen, aber zu beweisen ist dies schwer. Der Korpsgeist funktioniert, und die Zigarettenhändler – die letzten in einer gut funtionierenden mafiös organisierten Kette – schweigen aus Angst. 27 Fälle von Mißhandlungen in Berlin und 15 Vorfälle im brandenburgischen Bernau hat jetzt die deutsch-vietnamesische Hilfsorganisation „Reistrommel“ dokumentiert, zumeist in Form von Gedächtnisprotokollen. Auszüge davon erschienen Anfang der Woche in zwei Berliner Tageszeitungen. Der Wirbel, den diese Veröffentlichungen auslösten, führte gestern in Bernau zu einer ersten Konsequenz.

Gegen einen 34jährigen Polizeiobermeister strengte die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder jetzt ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt an. Der Beamte soll vom Dienst suspendiert werden. Das für Bernau zuständige Polizeipräsidium in Eberswalde hat darum gebeten, daß ein anderes Polizeipräsidium die Ermittlungen übernimmt, weil sonst die Eberswalder Polizei gegen ihre eigenen Kollegen vorgehen müßte. Der Polizeiobermeister soll nach Angaben der Hilfsgruppe „Reistrommel“, einen 25jährigen Vietnamesen gezwungen haben, sich im örtlichen Revier auszuziehen und soll ihn anschließend geschlagen und vor das Schienbein getreten haben.

Im Unterschied zu Bernau führten die Zeitungsveröffentlichungen in Berlin noch zu keinen Konsequenzen. Bisher erstattete keiner der Betroffenen Anzeige. Die Berliner Polizei führe jetzt zwar von Amts wegen Ermittlungen durch, laufe aber, weil die Gedächtnisprotokolle anonymisiert sind, „bisher ins Leere“, so ein Polizeisprecher. Nach Angaben des Büros der Ausländerbeauftragten Barbara John (CDU) überprüfe ein von ihnen beauftragter Rechtsanwalt derzeit drei Fälle von möglicher polizeilicher Willkür. In zwei Fällen sollen Polizisten Vietnamesen bei einer Razzia in einem Ausländerwohnheim geohrfeigt haben, im dritten Fall soll ein Polizist eventuell zu Unrecht einen Vietnamesen wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt angezeigt haben. „Das sind aber Banalitäten im Vergleich zu den von Reistrommel veröffentlichten sadistischen Vorfällen“, sagt Elena Marbach vom Ausländerbüro. Sie empfiehlt deshalb den Betroffenen dringend, Anzeige zu erstatten. „Es gibt polizeiliche Übergriffe“, bestätigt auch sie, aber „ohne Roß und Reiter zu nennen, bleiben sie im dunklen“. Anita Kugler

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