Theater, Therapie, Tabori

■ „George Tabori – Portraits“: Ein reich bebildertes „Hommage-Buch“ für den Schriftsteller, Regisseur und Schauspieler zum achtzigsten Geburtstag

Vor kurzem feierte George Tabori seinen achtzigsten Geburtstag. Ein stolzes Alter, das man dem schlaksigen, eher jungenhaft wirkenden Mann nicht ansieht und meistens auch nicht anmerkt. Seine Redeweise ist anekdotisch, sein Deutsch von Anglizismen inspiriert und nicht ganz fehlerfrei, ein Zustand, den er bestimmt pflegt, weil er so schöne Versprecher zuläßt. Und weil es ihm nicht drauf ankommt.

Geradezu beängstigend häuften sich anläßlich des Jubiläums jene Glückwünsche, Lobreden etc., die die ewige Jugendlichkeit des in die Jahre gekommenen Jubilars preisten. Und wäre da nicht das Interview von André Müller in der Zeit gewesen, wo das erste Mal auch die Bitterkeit des Alters oder Älterwerdens zu spüren gewesen ist, hätte man fast geglaubt, Tabori hätte mit 55 Jahren in der Bundesrepublik ein neues Leben angefangen.

So alt war er nämlich, als er, der im Kriegsjahr 1914 in Budapest Geborene, Ende der sechziger Jahre in die Bundesrepublik kam – und blieb. Er ließ in Amerika Frau und Kinder zurück und ein anstrengendes Leben als Drehbuchautor und Theaterregisseur hinter sich. Das hat ihn viele Jahre Therapie gekostet – und die Therapie hat ihn viele Jahre in seiner Theaterarbeit inspiriert. Denn dort – bei Frederick Perls Gestalttherapie und Lee Strasbergs Actor's Studio – liegen Taboris Anfänge und Ansätze als Theatermann. Das hat seine Arbeit als Regisseur, der seine Schauspieler für Kafkas „Hungerkünstler“ tatsächlich fasten ließ, grundlegend und bis heute geprägt und unterscheidet sie bis heute grundlegend von den üblichen Regiegroßtaten an deutschen Stadttheatern. Nicht jeder mochte das. Vielen Kritikern, die mit ihm alt geworden sind und ihn heute als den Junggebliebenen feiern, galten seine Inszenierungen als „Psychoscheiße“. „Mach kein Theater“ hieß Taboris Devise, der aus Schauspielern Menschen zu machen versuchte und nicht umgekehrt. Theater müsse das Leben und nicht die Kunst nachahmen, sagt Tabori und gesteht, er habe von Dokumentarfilmen mehr gelernt als von Grotowski oder Brook. Ihm war die private Geschichte einer Produktion wichtiger – und theatralischer – als das Produkt selbst; manches blieb schon mal in der Improvisation stecken.

Schwer zu sagen, wann die öffentliche Meinung sich für Tabori entschied; das mögen irgendwann mal Studenten anhand von Analysen der Kritiken herausfinden. Nicht ganz unwahrscheinlich ist jedenfalls, daß Taboris eigene Stücke, die sich von „Die Kannibalen“ über „Mein Kampf“ bis zu den „Goldberg-Variationen“ oder bei seinen Improvisationen über das Shylock-Thema aus Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ mit der jüdischen Tradition und dem besonderen Trauma Taboris (dem nicht verhinderten Mord an seinem Vater in Auschwitz) beschäftigen, den Meinungswandel enorm geprägt und beschleunigt haben. Jedenfalls mehr als sein Vietnam-Stück „Pinkville“ oder ein Psychodrama namens „Sigmunds Freude“. Seither ist der Blick auf Tabori in bestimmter Weise fixiert, verstellt.

Der im kleinen österreichischen Verlag Bibliothek der Provinz gerade erschienene dicke Portrait- Band über Tabori bringt einem anhand von Fotos, Interviews, Kritiken, Protokollen und Texten Taboris und anderer dankenswerterweise auch jene Anfangszeit in der Bundesrepublik nahe.

Das Buch, herausgegeben von Andrea Welker, geht chronologisch vor: beginnt mit der Kindheit in Ungarn, streift die Jahre der freiwilligen und unfreiwilligen Emigration nach England und Jerusalem, die Arbeit als Reporter, später als Drehbuchautor in Amerika. Es folgen die Jahre auf der Couch und damit einhergehend die ersten Inszenierungen Anfang der Sechziger in Amerika. Ausführlich werden dann die wichtigsten Produktionen Taboris nach dem Bruch mit Amerika dokumentiert und begleitet: häufig durch Texte, die vom Autor selbst oder von Arbeitskollegen stammen. Die meisten Texte sind keine Erstveröffentlichungen (viele der Bilder schon), sind aber in ihrer Anordnung sehr aufschlußreich. Auch der Romanautor Tabori wird berücksichtigt (u.a. hat Peter Zadek dem Kollegen eine Kritik in der Welt geschenkt), Werk- und Literaturverzeichnis sind inklusive. Kurzum, ein prächtig (und teuer) ausgestattetes Buch. „Vielleicht höre ich mit der Theaterarbeit auf und werde wiederzurückgehen nach England oder Amerika“, erzählt Tabori. Vielleicht fängt er ja dort ein neues Leben an. Vielleicht wird er nur noch schreiben, hat er wiederum André Müller gesagt. Vielleicht, nein, bestimmt inszeniert er wieder (nur noch eine Oper, bitte sehr, bitte schön). Vielleicht stimmt es doch, daß er in einem früheren Leben, damals in Ungarn, einem Lügenclub angehört hat. Wer am schönsten und am überzeugendsten lügt, hat gewonnen, so lautete die Regel. Alle Mitglieder des Clubs hießen übrigens George. Sabine Seifert

„George Tabori. Dem Gedächtnis, der Trauer und dem Lachen gewidmet. Portraits“. Herausgegeben von Andrea Welker, Bibliothek der Provinz, 353 Seiten, 218 DM