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Venezuela implodiert

Kapitalflucht und Banken unter Staatsaufsicht / Der wirtschaftliche Zusammenbruch des Landes schürt neue Putschgerüchte  ■ Von Astrid Prange

Rio de Janeiro (taz) – Venezuela steht am Rande eines kollektiven Nervenzusammenbruches. Das ehemalige Emirat Lateinamerikas ist kurz davor, sich in ein Armenhaus zu verwandeln. Die Mehrheit der Banken ist bankrott, die Inflation schießt in die Höhe, und die Devisenflucht ins Ausland hat unübersehbare Ausmaße angenommen. Venezuelas Präsident Rafael Caldera sah sich in der vergangenen Woche genötigt, alle Banken unter staatliche Aufsicht zu stellen, um die allgemeine Zahlungsunfähigkeit zu verhindern.

„Dies ist schlimmer als eine Verstaatlichung, es ist eine Enteignung ohne Entschädigung“, verflucht der Direktor einer wichtigen venezolanischen Bank die Notmaßnahmen des Präsidenten. Um die Spirale aus exzessiver Devisenflucht, Inflation und Spekulation zu stoppen, setzte das 78jährige Staatsoberhaupt die wirtschaftlichen und politischen Grundrechte der Verfassung vorübergehend aus. Die Banken sollen innerhalb eines Jahres entweder reprivatisiert oder liquidiert werden.

Der Zusammenbruch des Bankensystems begann mit dem Bankrott der „Banco Latino“ im vergangenen Januar, der weitere acht Banken mit in die Pleite trieb. Um den Zorn der mehr als zwei Millionen Venezolaner zu besänftigen, die dabei um ihr Geld geprellt wurden, pumpte die Regierung umgerechnet 4,4 Milliarden Dollar in die angeschlagenen Finanzinstitute – ohne Erfolg. Am 14. Juni schlossen die Banken ihre Türen.

Der Kredit der Regierung in Caracas erwies sich nicht nur als nutzlos, sondern auch als inflationär. Weil die Regierung ohnehin pleite war, hatte sie für die Rettungsaktion die Notenpresse angeworfen. Ursache der ganzen Malaise ist allerdings der Erdölreichtum des Landes. Die Euphorie über das schwarze Gold brachte eine enorme Spekulationswelle in Gang und ließ dutzendweise Banken aus dem Boden sprießen. Das Land mit dem einst höchsten Pro- Kopf-Einkommen Lateinamerikas (4.300 USD) beglückte seine 20 Millionen Einwohner mit der niedrigsten Steuerquote des Kontinents, spottbilligem Benzin (acht Pfennig pro Liter) und stützte die heimische Währung „Bolivar“ größzügig mit den schnell verdienten „Petrodollars“.

Notwendige Investitionen im Bereich der lukrativen Erdölveredelung wurden derweil vernachlässigt. Auch Umweltschutzinvestitionen blieben aus. Weil ausländische Investitionen laut venezolanischer Verfassung im Erdölgeschäft nicht zugelassen sind, hätte der Staat dafür selbst die Mittel aufbringen müssen. Da dieser jedoch mangels Steuereinnahmen die Petrodolars in den Ausbau des Bildungs- und Gesundheitssystems und vor allem in die Kanäle der Korruption umleitete, kam die Modernisierung der Erdölbranche nicht voran. Der Aufbau einer leistungsstarken Exportwirtschaft, die die Abhängigkeit des Staates vom Erdöl als einzigem Devisenbeschaffer verringert hätte, wurde ebenfalls nicht gefördert.

Der Preisverfall des Erdöls in den 80er Jahren war für Venezuela fatal. Im Oktober 1988 mußte der Bolivar von einem Tag auf den anderen drastisch abgewertet werden. „25 Jahre lang waren vier Bolivars einen US-Dollar wert. Auf einmal rutschte der Kurs auf 14 zu eins“, erinnert sich der ehemalige dpa-Korrespondent Esteban Engel aus Caracas. Danach sei alles zusammengebrochen.

Der im selben Jahr gewählte sozialdemokratische Präsident Carlos Andres Pérez versuchte, das Land mit einem neoliberalen Schockprogramm aus der Krise zu befreien. Doch der Volksaufstand vom Februar 1989 machte unmißverständlich deutlich, daß die Verzichtsbereitschaft des venezolanischen Volkes bereits auf Null gesunken war. Sein Nachfolger Caldera räumte öffentlich ein, daß die grassierende Korruption eine der Hauptursachen für die Strukturkrise des Landes sei. Unter Venezuela-Experten gilt es als sicher, daß die Militärs in die angespannte politische Lage eingreifen werden. Als Indiz dafür wird die kürzliche Freilassung von Oberst Hugo Chavez gewertet. Der Anführer der Aufstandsbewegung „Movimento Revolucionario Bolivariano 200“ organisierte im Februar 1992 einen Putsch gegen Ex-Präsident Pérez, bei dem 18 Menschen ums Leben kamen. Caldera unterstütze den Staatsstreich des befreundeten Militärs.

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