piwik no script img

Welt der imaginären Brücken

Seit Beginn des Balkankrieges setzen Frauen aus allen Teilstaaten Kommunikation und Kooperation gegen Zerstörungswut und Chauvinismus  ■  Von Biljana Kašić

„Krieg ist weder ein Ort für Frauen noch ein Kapitel in ihrer Geschichte; er liegt jenseits der Geschichte von Frauen und ganz besonders jenseits ihrer Freiheit.“ Ich habe mich selbst dabei ertappt, wie ich auf dieses Stück Satz starrte. Das ist alles, was mich noch an die Freundin erinnert, die mit ihrem ganzen Dasein versucht hat, die Gültigkeit dieser Aussage zu beweisen. Das letzte Mal traf ich sie im November 1992 auf der internationalen Frauenkonferenz „War Resisters International“ in Thailand. Auf diesem internationalen Treffen adressierten wir, 150 Frauen aus aller Welt, unseren gemeinsamen Protest an die UN-Kommission für Menschenrechte. Unsere Kernforderung war, daß Vergewaltigung im Krieg wie ein Kriegsverbrechen behandelt werden soll und die Täter für dieses Verbrechen vor Gericht gebracht werden sollen.

Staša und ich flogen auf unserem Heimweg zusammen nach Prag, und dann nahm jede von uns ein anderes Flugzeug. Obwohl uns damals schon durchaus bewußt war, daß wir in voneinander abgeschnittenen, miteinander verfeindeten Gemeinschaften leben (unsere unterschiedlichen Pässe markierten nur allzu offensichtlich unsere nationale Zugehörigkeit), fiel es uns schwer, diesen Zustand als „normal“ zu akzeptieren, so wie es nicht leicht ist, damit klarzukommen, daß wir jetzt in verschiedenen Wirklichkeiten leben.

Nach diesem Treffen machte Staša sich als Friedensaktivistin einen Namen, steckte ihre ganze Energie in das Projekt „Frauen in Schwarz“, eine Protestbewegung serbischer Frauen gegen das militaristische Regime und die fortschreitende Gewalt gegen Frauen. Ich begann, zusammen mit meinen Freundinnen aus der Zagreber Frauenlobby, das Zentrum für weibliche Kriegsopfer aufzubauen.

Die Wirklichkeit des Krieges treibt uns seit 1991 auf die jeweiligen Kriegsseiten und in die Fänge der entsprechenden nationalen Positionen. Augenblicklich traten die Grenzen zutage, offenbarte sich der Balkan als das Epizentrum aller katastrophalen Konfigurationen, die sich entwickelten, als die Verbindung zwischen Geisteskultur und pragmatischer Politik durch die Vorherrschaft des Krieges über den Frieden zerschnitten wurde. Der Krieg hat das zivilisierte Leben zerstört, hat ethnische Enklaven geschaffen, Gefangenenlager kollektiver Feinde, unwirtliche Inseln, die andere ausgrenzen, Gruppenvergewaltigungen, zahllose Greueltaten, Zukunft ohne Antwort. Und er hat natürlich Schranken in unseren Köpfen errichtet, befördert von einem falschen Geschichtsverständnis, von alten kollektiven Vorurteilen und von nationalen Konflikten vergangener Jahrhunderte. In der Terminologie des Krieges wurden die Unterschiede zwischen uns immer größer (Opfer oder Angreifer), und wir waren durchaus empfänglich für die verbreiteten Kriegsstereotypen. Wir konnten uns nicht bewegen, konnten nicht reisen, die Telefonverbindungen wurden bereits zu Kriegsanfang gekappt, so wie die Kommunikation selbst. Wir waren mit den technischen, physischen und emotionalen Grenzen konfrontiert, die in die verschiedensten Richtungen wuchsen und neu entstanden.

Aber zur selben Zeit versuchten einige Frauengruppen und Friedensinitiativen zu kommunizieren, suchten wir nach friedlichen Lösungen und Toleranz zwischen den verschiedenen Nationen, zwischen den Frauen, zwischen den Zivilisten, allen Meinungsverschiedenheiten und Mißverständnissen zum Trotz. Wir nutzten die ausländischen JournalistInnen und FriedensaktivistInnen als unsere persönlichen BriefträgerInnen, fungierten häufig selbst als Überbringerinnen von Botschaften. Die ganze Zeit während des Krieges haben wir sowohl neue Fraueninitiativen in Kroatien unterstützt als auch nach Frauengruppen in Bosnien und Herzegowina Ausschau gehalten, Gruppen, zu denen wir Kontakte knüpfen oder die wir unterstützen konnten. Der Austausch funktioniert in die verschiedensten Richtungen: zwischen dem autonomen Frauenhaus in Zagreb und der SOS-Hotline für mißbrauchte Frauen in Belgrad und Ljubljana, zwischen dem Zentrum für weibliche Kriegsopfer in Zagreb und dem Frauentherapiezentrum „Medica“ in Zenica, dem MAK Bosanka in Sarajevo und dem Frauenzentrum in Belgrad...

Verdoppelt, gespalten, mit oder ohne nationale Identität, das spielt keine Rolle. Die Frauen sind nicht bereit, der Kriegsideologie und dem Konzept der chauvinistischen Abgrenzung zu folgen. Auf Treffen, Seminaren und Konferenzen irgendwo im Ausland, in Genf, Hamburg, Paris und Santa Fé, tauschen wir uns über unsere Erfahrungen aus, unterstützen wir uns gegenseitig, reflektieren wir über die unterschiedlichen Lebensrealitäten ebenso wie über die Ähnlichkeiten, lernen wir, wie man Konflikte löst. Wir haben viel Solidaritätsarbeit gemeinsam geleistet, haben durch gemeinsame Protestaktionen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit darauf gelenkt, wie Frauen in Kriegszeiten zu Opfern gemacht werden, haben fliehenden und heimatlosen Frauen aller Ethnien geholfen. Auf der Grundlage unserer gemeinsamen feministischen Strukturen schaffen Frauen aus Ljubljana, Zagreb, Belgrad, Priština, Sarajevo, Zenica, Tuzla, Osijek, Split, Rijeka und Kopar, indem sie sich zusammenschließen, eine neue Sichtweise. Diese hat nichts zu tun mit Ex-Jugoslawien oder irgendeinem anderen Staat. Ganz im Gegenteil: Die kriegsbedingten Grenzen zu überschreiten bedeutet Disloyalität, bedeutet, sich dem Geist der Zerstörung, der das eigene Umfeld beherrscht, zu entziehen.

In anderen Worten: Während die Kriegsjahre vorbeiziehen und meine Freundin Staša und ich in einer Welt von Kreuzungen, Flughäfen, fremden Orten, imaginären Brücken und geschriebenen Briefen leben, arbeiten wir an einer Parallelkultur. Wir versuchen Graswurzel-Initiativen, gemeinsame Projekte auf lokaler Ebene und die Grundlagen einer zivilen Gesellschaft aufzubauen. Wir kämpfen für Bürgerrechte und dafür, daß die einzelnen sich verantwortlich fühlen und daß sie den Dialog mit den NachbarInnen aufrechterhalten. Wir arbeiten an einer Erneuerung der Gesellschaft. Schritt für Schritt.

Aus dem Englischen

von Sonja Schock

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen