: Pasquagate an der Seine
■ Spitzel saß in der Dolmetscherkabine / Nun droht ihnen Strafversetzung
Paris/Berlin (AFP/taz) – Zu früh geprahlt: Zwei hohe französische Geheimdienstler müssen mit dem Verlust ihres Postens für die Bespitzelung einer Versammlung der oppositionellen Sozialistischen Partei büßen. Das entschied ihr Vorgesetzter, Frankreichs Innenminister Charles Pasqua, am Donnerstag, nachdem die Bespitzelung bereits im Parlament debattiert und von den Sozialisten mit dem Titel „politische Spionage“ versehen worden war. Die beiden Geschaßten purzeln freilich nicht ins Leere: Der Chef des polizeilichen Nachrichtendienstes von Paris, Claude Bardon, einer der erfahrensten französischen Geheimdienstler, und sein Hauptkommissar Bertrand Michelin sollen neue Aufgaben im Dienst bekommen.
Die Affaire begann mit den Europawahlen, die den SozialistInnen das miserable Ergebnis von 14,5 Prozent bescherten. Eine Woche später, am 17. Juni, traf sich die Parteiführung zur Krisensitzung hinter verschlossenen Türen. Routinemäßig ging auch jemand vom Nachrichtendienst „Renseignements généraux“ (RG) hin, der allein in Paris 800 Beamte beschäftigt und die Regierung über politische Stimmungen im Lande informiert.
Über private Kontakte zum Wachdienst verschaffte sich der Agent Alexandre de H. Zugang zu einer vollklimatisierten Dolmetscherkabine mit gutem Überblick über die sozialistische Veranstaltung und einer direkten Telefonleitung nach draußen. Dank dieser Logistik konnte er den Rücktritt von Sozialistenchef Michel Rocard life an seinen Chef durchgeben.
Jener Chef, der jetzt strafversetzte RG-Hauptkommissar Bertrand Michelin, brüstete sich kurz darauf mit der Abhöraktion seines Mitarbeiters. Irgendwie geriet seine Prahlerei in die Hände der Satirezeitung Canard Enchainé, die vor Jahren selbst Opfer eines Lauschangriffs der RG war, und die Information am Mittwoch dieser Woche veröffentlichte.
Oppositionspolitiker sprachen tags drauf von einem „Watergate an der Seine“, forderten einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß und drohten ein Ermittlungsverfahren an. Kritik an der Aktion kam auch aus dem Lager der Regierungsparteien: Neogaullist Bernard Pons diagnostizierte gar einen „Angriff auf die Demokratie“.
Innenminister Pasqua blieb ganz ruhig und erzählte dem Parlament, der Agent habe „in Eigeninitiative“ gehandelt. Als Begründung lieferte er eine Frage: „Welches Interesse hätte die Regierung haben können, über den Rücktritt Rocards einige Minuten im voraus zu erfahren?“ dora
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