: Wo der Football ein Ei ist...
■ ...muß die Erde keine Scheibe sein, aber ob die Soccer-Euphorie im Amiland übers Endspiel hinausreicht, steht in mehr als 52 Sternen
Houston (taz) – „Soccer“, sagt die Lehrerin auf dem Flug ins World-Cup-Wonderland, „soccer is great.“ Endlich würden die Kids mal einen Blick auf die Landkarte werfen. In diesem Land waren die Leute eben seit den pilgrim fathers gut beraten, die Dinge zuallererst von der pragmatischen Seite aus zu betrachten.
Inzwischen gibt es aber durchaus Amerikaner, die am fremdartigen Spiel mit der runden Lederkugel auch aus anderen Gründen Gefallen gefunden haben. „Die Leute sind verrückt nach diesem ganzen Fußballzeug“, berichtet Chris aus London, der in Houston/Texas den Shop „soccer 4 all“ betreibt. Dort gibt's alles rund um den Fußball – sonst nichts. Und der Laden läuft. „Unglaublich“, sagt Chris.
Aber wahr: Der Ball ist rund – and the times, they're changing. Soccer-Rocker Alexi Lalas („Woodland“) kann ein Lied davon singen. Sonnenbrille und Käppi waren im großen New York der Tarnung nicht genug: „Der Taxifahrer weigerte sich, von mir Geld zu nehmen“, wundert sich Amerikas Abwehrhüne Alexi Lalas, Pausenfüller der ABC beim Viertelfinalmatch Italien gegen Spanien, über soviel forechecking der eigenen Sportart – „unbelievable“.
Klar, daß im Ami-Wunderland das Beinahe-Wunder-Team um Lalas & Co dem Fußball ein bißchen auf die Beine geholfen hat. Loser gelten nichts dort, wo das Sandmännchen noch immer den amerikanischen Traum ins Bewußtsein streut. Deshalb: Was konnte Bora Milutinovićs Elf Besseres passieren, als sich gegen „the world best soccer team“, wie der ABC-Reporter sich immer wieder zu betonen beeilte, ehrenhaft mit dem knappesten aller Resultate aus dem Turnier zu verabschieden?
Zudem: Dem Medienerfolg des Worldcups im Veranstalterland ganz und gar nicht abträglich waren Skandale und Schlagzeilen, die Soccer selbst in den regulären Tagesnachrichten zum Thema werden ließen: Maradonas Doping- Affäre, die Ermordung des Kolumbianers Escobar, der auch noch ausgerechnet gegen die USA ins eigene Netz getroffen hatte – das ließ sich doch fast so gut verkaufen wie der tiefe Fall von Football-Idol O.J. Simpson.
Zum telegenen Soccer-Rocker Alexi Lalas gesellte sich der tragische Held Tab Ramos, Schädelbruch nach einem Ellbogen-Check des Brasilianers Leonardo. Man kann sich eben doch verletzen in diesem Sport, in dem Foulomobile oder weibliche Sanitäter hartgesottene Männer vom Platz tragen müssen. Und dabei noch so gut aussehen, daß dieser Sport plötzlich selbst für Girls das gewisse Etwas erhält und Live-Schaltungen ins Hospital auch für ABC lohnend sind.
Ende gut, alles gut? Gemach, gemach. Was ist nach dem Endspiel am 17. Juli? Wenn's nach Steven ginge, der gerade im richtigen Alter für die E-Jugend wäre, könnte es munter immer so weitergehen. Er hat im Azzurri-Trikot Italiens Sieg über Spanien bejubelt. In „Savages Bar“ in Houston, dort wo es gar nicht nötig wäre, mit soccer special menus Gäste zu ködern. Denn es finden sich vor dem Kneipen-TV regelmäßigst ein: der Ökonomie-Student aus Saudi- Arabien, mit breitem Wissen über Rummenigges Lebenslauf, bis zum Füße wippenden italienischen Geschäftsmann, mit lang verlängerter Mittagspause. Alles eben, was auf Soccer steht.
Steven steht auf Baggio. Doch ob der Steppke einmal ein Soccer- Profi im eigenen Land wird werden können, ist sehr zweifelhaft. Der Start der US-Profiliga Major League Soccer, eigentlich für April 1995 geplant, wird sich um mindestens vier Monate verzögern. Zwar berichten die Gazetten inzwischen nicht ohne Stolz, daß Spieler wie Lalas, einer der besten Innenverteidiger der WM, „viele Angebote aus Übersee“ bekommen hätten, fürchten aber, daß ohne die WM- Stars das Unternehmen Profi-Soccer erneut scheitern wird.
John Harkes, einer der auffälligsten Kicker im US-Team, faßt die Stimmung so zusammen: „Jeder von uns würde gerne zurückkommen, aber im Moment sehe ich gar nicht, warum wir das tun sollten.“ Das Problem: keine Spieler, keine Sponsoren, keine Investoren (siehe „Profit ja, Profitum nein“). Erst sieben der vorgesehenen zwölf Teams wurden benannt.
Und so könnte trotz aller World-Cup-Euphorie am Ende doch der Kommentator der Boston Globe recht behalten, der vor der WM prophezeite: „Soccer ist der Sport der Zukunft – und wird es immer bleiben.“ Eigentlich bedauerlich in einem Land, dessen Bevölkerung Medienforschern zufolge nur etwas über das Ausland bei Naturkatastrophen, Kriegen, Hungersnöten und Revolutionen erfährt.
Da könnte etwas Kicker-Geographie nicht schaden: Die Welt ist rund – und ein Football nicht immer ein Ei. Jörg Hamann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen