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Ein Bypass für Streptokokken

■ Zwölf Stunden Horror — bis der Arzt sich in der Tür irrte

Um vier Uhr nachts waren die Schmerzen in seinem Bein unerträglich geworden. Peter setzte sich ins Auto und fuhr ins katholische Mater-Krankenhaus am Nordrand der Dubliner Innenstadt. Während viele irische Krankenhäuser aufgrund der Etatkürzungen in den vergangenen zehn Jahren geschlossen wurden, mußte für einen Anbau des Mater-Krankenhauses in der Eccles Street das Wohnhaus von Leopold Bloom weichen, jenem Romanhelden aus James Joyce' Jahrhundertwerk „Ulysses“. In der Notaufnahme nahm man Peter zunächst zehn Pfund Tagesgebühren ab, dann durfte er im vollen Wartesaal Platz nehmen. Um neun Uhr wartete Peter noch immer. Das Bein war inzwischen stark geschwollen und dunkelrot angelaufen. Um zehn brachte man Peter einen Rollstuhl. Zwei Stunden später schob ihn eine Krankenschwester ins Röntgenzimmer.

Der junge Mann, der ihm das Kontrastmittel ins Bein spritzte, war noch in der Lehre. Die beiden Krankenschwestern schauten interessiert zu und lächelten mitleidig, als er die Spritze zum dritten Mal ansetzte. Danach schaltete er das Röntgengerät ein, das sich langsam über den Körper in Richtung Kopf bewegte. Der Lehrling hatte allerdings nicht beachtet, daß die Rückenlehne des Röntgenstuhls etwas aufgerichtet war – Peters Hals wurde zwischen Röntgengerät und Lehne eingeklemmt. Als er aufschrie, schaltete der Dilettant das Gerät ab und brachte den nach Luft schnappenden Patienten zurück ins Wartezimmer der Notaufnahme.

Er hatte Durst, durfte aber nichts trinken – „falls sie operiert werden müssen“, meinte die Ordensschwester streng. Zu essen gab es erst recht nichts. Um vier Uhr nachmittags – Peter war jetzt schon zwölf Stunden im Krankenhaus – gelang es ihm, die Aufmerksamkeit eines Arztes zu erregen. „Es ist kein Blutgerinnsel, wie wir zuerst dachten“, meinte der Doktor, „es handelt sich um eine Streptokokken-Infektion.“ Sprach's und verschwand durch die Schwingtür in den Gang. Schlagartig gewann der Aufmacher der Irish Press, die ihm eine Krankenschwester geliehen hatte, für Peter eine völlig neue Bedeutung: „Killer-Bakterien fressen Menschen bei lebendigem Leibe.“ Die Streptokokken hatten in diesem Jahr bereits 13 Menschen in Großbritannien dahingerafft.

Inzwischen hatte sich die Infektion bei Peter auf die Wade ausgedehnt und arbeitete sich zur Kniekehle vor. Die Krankenschwester winkte jedoch ab: „Mit Antibiotika kriegen wir das schon wieder hin. Aber sie müssen zwei Wochen zur Beobachtung hierbleiben.“

Um Mitternacht hatten die barmherzigen Ordensschwestern endlich ein Bett für Peter gefunden. Zu essen hatte er noch immer nichts bekommen. Dafür erhielt er zu dieser späten Stunde noch Besuch vom Arzt. „Na, machen sie sich mal keine Sorgen wegen ihrer Bypass-Operation morgen früh“, sagte der Weißkittel. Er hatte sich in der Tür geirrt. Ralf Sotscheck, Dublin

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