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Kälte läßt Kaffeepreise brodeln

Frost zerstört die halbe brasilianische Kaffee-Ernte / Höhere Kaffeepreise nützen Brasilien jedoch wenig / Spekulationswelle rollt  ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange

Brasiliens grünes Gold ist erfroren. Die Blätter der Kaffeesträucher sind verdörrt. Brasiliens Kaffeeproduzenten wurden in den letzten drei Wochen von starken Frosteinbrüchen überrascht. Der Temperatursturz im Süden brachte im Norden die Preise zum Brodeln: An der New Yorker Börse stieg der Kaffeepreis seit der ersten Frostperiode Ende Juni um 83 Prozent, innerhalb eines Jahres sogar um 277 Prozent. In Deutschland kündigten die Kaffeeröster gleich Preiserhöhungen von drei Mark pro Pfund an. Ein Triumph für die brasilianischen Kaffeeproduzenten, die sich stets über den niedrigen Weltmarktpreis ihres Produktes beschweren?

Noch vor einem Jahr regte Brasiliens ehemaliger Industrie- und Handelsminister José Eduardo Andrade Vieira die Kaffeeproduzenten seines Landes an, 3,6 Millionen Kaffeesäcke, umgerechnet 216.000 Tonnen, zu verbrennen, um den Preisverfall auf dem Weltmarkt aufzuhalten. Im Juli 1993 wurde das Pfund Kaffee in New York an der Börse zu 0,69 US-Dollar gehandelt. Mittlerweile kostet der Kaffee in der Wall Street bei Verträgen für den kommenden September 2,50 Dollar.

Doch Manoel Bertone, Vorsitzender des nationalen Kaffeerates, CNC, erkennt darin keinen Vorteil für Brasilien: „Der einzige, der sich über die Katastrophe freuen kann, ist Kolumbien.“ Die anderen Kaffeeländer können genausoviel wie früher exportieren und profitieren dabei von den höheren Preisen. Doch für Brasilien sei die Verringerung der Kaffeeproduktion eine Katastrophe. Auf dem Binnenmarkt, so prophezeit der Experte, werde der Konsum angesichts der horrenden Preiserhöhungen zurückgehen. Und im Exportgeschäft müßten die Brasilianer darum kämpfen, ihre Handelskontakte nicht an die Konkurrenz zu verlieren, wenn sie zeitweilig nicht genug Kaffee liefern können.

Selbst die an Übertreibungen gewöhnten Kaffee-Exporteure schätzen, daß im nächsten Jahr höchstens die Hälfte der bisherigen Ernte von etwa 25 Millionen Säcken Kaffee eingefahren wird. „Nicht nur die Ernte im nächsten Jahr wird äußerst mager ausfallen“, erklärt Eduardo Ulup von der brasilianischen Vereinigung der Kaffeeindustrie, Abic, aus Rio. Neue Kaffeesträucher müßten für die erfrorenen gepflanzt werden und würden erst in zwei Jahren wieder Früchte tragen.

Zwar sind die Zeiten, in denen eine Kaffeekrise automatisch eine Staatskrise zur Folge hatte, in Brasilien endgültig vorbei. Der Anteil des grünen Goldes am gesamten Exportvolumen Brasiliens in Höhe von 45 Milliarden Dollar (1993) beträgt gerade 2,7 Prozent. Zum brasilianischen Bruttosozialprodukt, 446 Milliarden Dollar, trägt die Produktion der grünen Bohnen gerade 0,5 Prozent bei.

Doch die Frostwelle macht sich auch auf dem brasilianischen Binnenmarkt, nach den USA der größte Kaffeekonsument, bemerkbar. „Die Kälte gilt als Entschuldigung für alles“, beschwert sich José Milton Dalari aus dem brasilianischen Finanzministerium.

In Brasilien stiegen nicht nur die Kaffeepreise

„Den Unternehmern ist jede Gelegenheit recht, um ihre Preise zu erhöhen.“ Just zwei Wochen nach der Währungsreform, die die gegen alle bisherigen Maßnahmen resistente Inflation in Brasilien bekämpfen soll, schossen nicht nur die Kaffeepreise in die Höhe. Auch viele Obst- und Gemüsearten wurden über Nacht teurer.

Die brasilianische Regierung will der Spekulationswelle durch den Verkauf ihrer Reserven ein Ende machen. Der Absatz der 16 Millionen Kaffeesäcke würde immerhin auf dem Binnenmarkt die Preise senken. Doch zuviel Einsatz seitens der Regierung, um die Preise niedriger zu halten, ist dem CNC-Vorsitzenden Manoel Bertone nicht recht: „Wir wollen nicht, daß die Regierung ihre Lager leerräumt. Wir müssen Geld verdienen, um die Verluste der Kältewelle auszugleichen“, erklärt er.

Solange die brasilianische Regierung sich darüber ausschweigt, wieviel Kaffee sie nun auf den Markt wirft, dreht sich die Spekulationsspirale munter weiter. Brasiliens Kaffeeproduzenten halten die diesjährige Ernte angeblich zurück, um Reserven für das nächste Jahr anzulegen – folglich steigt der Preis, die Spekulation kommt in Gang. Daß der künstlich erzeugten Knappheit im nächsten Jahr ein echter Kaffeemangel folgen wird, weiß jedoch so genau niemand, denn eine vollständige Erhebung der Ernteschäden steht noch aus.

Nur eines ist sicher: Die vier Millionen Kaffeepflücker, die für einen Mindestlohn von umgerechnet 65 Dollar im Monat auf Brasiliens Plantagen rackern, dürfen sich freuen, wenn sie nicht entlassen werden. Sie bekommen den Rückgang der Produktion als erste zu spüren. Der Geldregen der Spekulation, der den Großgrundbesitzern über die Krise hinweghilft, erreicht ihre Hütte nicht.

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