„Gefahrenprognose war falsch“

■ Polizeieinsatz am Flughafen gegen Trauergäste bei der Verabschiedung der Möllner Mordopfer war rechtswidrig Von Kai von Appen

Schwere Schlappe für Hamburgs Polizei. Der Polizeieinsatz gegen türkische Trauergäste anläßlich der Überführung der Möllner Mordopfer auf dem Hamburger Flughafen am 27. November 1992 war rechtswidrig. Das hat das Hamburger Verwaltungsgericht entschieden. Die Richter: „Der Polizeieinsatz hat die Kläger in dem ihnen durch das Versammlungsgesetz gewährtem Recht, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen, verletzt.“

Mehrere hundert Menschen wollten damals - nach türkischem Brauch – den Mordopfern am Flughafen die letzte Ehre erweisen. Doch als Trauergäste die Charterhalle betreten wollten, versperrte ihnen ein Großaufgebot von PolizistInnen den Weg. Es kam zu Rangeleieien, in deren Verlauf die Polizei Schlagstöcke gegen die Trauergäste einsetzte. Erst später öffneten sich die Polizeiketten.

Auslöser der Polizeirandale war – wie beim Hamburger Kessel – eine eklatante Fehleinschätzung des Staatsschutzes. Nach der Staatsschutzprognose wollten radikale Sympathisanten der Kurdischen Arbeiterpartei PKK die Särge klauen und aufgebrachte linke TürkInnen aus Protest die Startbahn durch Blockade lahmlegen.

Nach Auffassung des Gerichts war jedoch „unmittelbar vor Beginn des streitgegenständlichen Polizeieinsatzes“ erkennbar gewesen, daß „die in der Einsatzkonzeption befürchteten Gefahren von den Trauergästen nicht ausgehen“ würden. Dies hätte die Einsatzleitung erkennen müssen: „Ihr Festhalten an dem als solchem schon fragwürdigen Einsatzkonzept war durch die wahrnehmbaren Tatsachen und das ihr zur Verfügung stehende polizeiliche Erfahrungswissen nicht gedeckt. Die Gefahrenprognose war ersichtlich falsch.“

Dabei könne die Polizei auch nicht geltend machen, daß es sich beim Flughafen um ein Privatgrundstück gehandelt habe. Der Flughafen sei für die Versammlungsteilnehmer als „symbolischer Ort für die Abschiedsnahme von den Mordopfern ausgewählt“ worden. Das Gericht verständnisvoll: „Es liegt auf der Hand, daß der Ort für eine solche Abschiedsnahme die Abflughalle und nicht der durch Polizeikräfte abgeriegelte Vorplatz ist.“ Die Richterschelte: „Die Polizei durfte den Kläger als Teilnehmer einer Versammlung nicht am Betreten der Charterhalle hindern, weil die Tatbestandsvoraussetzungen für präventiv-polizeiliche Maßnahmen gegenüber den Versammlungsteilnehmern nicht erfüllt waren.“

Die Polizei wollte sich zu dem Urteil gestern nicht äußern. Polizeisprecher Werner Jantosch: „Wir müssen uns erst mit dem Urteil beschäftigen, bevor wir einen offiziellen Kommentar abgeben.“ Anwältin Ursula Erhardt ist „über den politischen Erfolg“ zufrieden. „Für die Betroffenen bleibt festzuhalten: Der Staatsschutz hat wieder einmal die Weichen für das Desaster gestellt. Die Betroffenen wurden Opfer einer kalten fehlerhaften Polizeieinschätzung, der jegliches Gesprür für die Betroffenheit der Menschen fremd war.“ Die Juristin hofft nun, daß das Urteil in die Prozesse, die noch gegen Teilnehmer der Demo wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt anhängig sind, Berücksichtigung finden wird.