Die Invasion der Tiere

■ In den Kochtöpfen am Streckenrand fällt die Entscheidung der Tour de France

Berlin (taz) – Hat jemand behauptet, Liebe gehe durch den Magen? Wenn ja, ist er metaphorisch ganz schön stehengeblieben. Veraltet. Nee, nee, das Rad der Zeit dreht sich unerbittlich weiter. Mörderisch sozusagen. Und die „Tortur de France“ (FAZ) entscheidet sich heutzutage in den Kochtöpfen am Streckenrand. – Soll keiner mehr sagen: „Ich achte vielleicht zu wenig darauf, was ich esse.“ Tony Romingers kulinarische Ignoranz wurde mit einem vorzeitigen Ende seines Drahtesel-Ritts beendet. „Aufgeben ist ein bißchen wie sterben“ (Sport Zürich), und deshalb hat sich das Schweizer Blatt hinter die Aufklärung ihres Helden-Todesfalles geklemmt. Mit kriminalistischem Gespür wurde die Mordwaffe recherchiert. Es war, knister, knister – ein „mit feinem Läberli garnierter Salatteller im Climat-de-France-Hotel zu Cahors“. Wow! Der Tatort? „Vielleicht hocken in diesem Salat oder dieser Leber die ,Käfer‘, die ihn in ein paar Tagen vom Rad holen werden.“ Der Mörder: Käfer also, im Grünzeug. Igitt. Da muß man nicht auf dem Rad sitzen, auf daß sich einem angesichts Mikroben solcherlei gigantischen Ausmaßes, ja, Insekten von gar kafkaesker Dimension zum Abendmahl, der Magen gar fürchterlich umdrehe?

„Stuhl imma dünna, bis zum Wasser möcht' ick sagen“ – bilanzierte ernüchternd detailgetreu auch der Berliner Erik Zabel die Begleiterscheinungen auf der Tour der mangelhaften haute cuisine. Zum Dessert statt Tiramisu „Beene wie Pudding“. Folglich leidet „die Karawane der Ausgemergelten wie nie“ (Süddeutsche Zeitung). Da können die Doktoren noch so eischneelockerleicht behaupten, wir hätten es mit „normalen Symptomen sehr erschöpfter Körper“ zu tun. I wo: 51 hatten die Nase voll von Käfern im Salat, Viren sonstwo und der Entleerung „gleichzeitig oben und unten“ (Zabel). Ist ja auch kein Zuckerschlecken: Reiskuchen aus der Tiefkühltruhe für Rolf Aldag („die bringen unsere Betreuer aus Belgien mit“). Les frittes, oh, là, là, im Lande der gourmets, durch das gourmands (Vielfresser) statt Feinschmecker ziehen. Das ist doch von vornherein zum Dünnschiß verurteilt.

8.000 Kalorien (Verbrauch einer Kleinfamilie) schaufelt ein Pedaleur in sich rein. Das meiste zu nachtschlafener Zeit. Morgens: zwei Teller Spaghetti mit Olivenöl und Käse, dazu ein Omelett aus sechs (!) Eiern, Müsli, Schinken, Obst und mindestens 200 Gramm Honig – voilà, das hat Stil, und das tischt Willi Balmat dem amerikanischen Motorola-Team auf. Der Ex-Steward ist der einzige Leibkoch auf der Tour und seine Kunst so raffiniert, daß ihn früher Greg Lemond für 10.000 Dollar abwerben wollte. Die restlichen 20 Teams darben: Kohlenhydrat- Konzentrate, Stärkungsmittel intravenös und, wie gesagt, Käfer. coh