: Seehofers Kuhhandel
Rinderwahnsinn in Brüssel kein Problem mehr / Kein deutsches Importverbot für britische Kühe ■ Von Ralf Sotscheck
Berlin (taz) – Horst Seehofer, der Schrecken aller britischen Rinderfarmer, ist zahm geworden. Er möchte am liebsten Tierarzt werden, sagte der CSU-Gesundheitsminister gestern, als er seinen Rückzieher vor der Bonner Presse erläutern mußte. Die Bundesregierung hat sich in Brüssel auf einen Kuhhandel eingelassen: Da der britische Premierminister John Major den von Bundeskanzler Helmut Kohl favorisierten Jacques Santer als Nachfolger für den EU- Kommissionspräsidenten Jacques Delors akzeptiert hat, zog die deutsche Delegation am Montag abend ihre Drohung einseitiger Importverbote für britisches Rindfleisch zurück.
Damit Seehofer das Gesicht wahren konnte, hatte die EU- Kommission eine geringfügige Verschärfung der Ausfuhrbeschränkungen für britisches Rindfleisch verfügt. So darf in Zukunft kein Fleisch von britischen Rinderherden exportiert werden, in denen in den letzten sechs Jahren Fälle von „Boviner Spongiformer Enzephalopathie“ (BSE) – dem „Rinderwahnsinn“ – festgestellt wurden. Bisher hatte eine Frist von zwei Jahren gegolten. Eine Ausnahme besteht weiterhin für entbeintes Fleisch, aus dem das sichtbare Nerven- und Lymphgewebe entfernt worden ist. ExpertInnen warnten, daß diese Maßnahme keineswegs ausreiche. Die Londoner Neuropathologin Helen Grant dazu: „Ein Schlachthaus ist kein Operationssaal.“
Dennoch sagte der Bonner Delegationssprecher, daß mit der EU- Entscheidung der Grund für einseitige deutsche Schritte entfalle. Die Kommission hatte Deutschland im Falle eines Alleingangs mit einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg gedroht. Während die Bundesregierung argumentierte, eine Übertragung der Rinderseuche auf den Menschen lasse sich nicht völlig ausschließen, erklärten London und die EU-Kommission, es gebe für eine solche Übertragungsmöglichkeit keinerlei wissenschaftliche Beweise.
Gegenbeweise gibt es freilich auch nicht. Der Rinderwahnsinn grassiert seit Mitte der achtziger Jahre. In Großbritannien sind mehr als 130.000 Rinder daran eingegangen, noch immer sterben rund 500 Tiere pro Woche. Die Inkubationszeit beträgt etwa sieben Jahre.
Zwar dürfen die Futtermittel seit sechs Jahren in Großbritannien nicht mehr verfüttert, wohl aber exportiert werden. Dadurch hat sich die Krankheit auf Irland, Frankreich, die Schweiz und andere Länder ausgebreitet. In Deutschland hat die Verunsicherung der Verbraucher zu einem Rückgang des Rindfleischverbrauchs um durchschnittlich zehn Prozent geführt.
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