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Unscheinbar, privat

■ Heute jährt sich zum 50. Mal das Attentat auf Hitler. Zwar leisteten die Frauen hinter den Männern vom 20. Juli keinen aktiven Widerstand im engeren Sinne. Aber ihr Wider-Wille erwies sich als überaus konsequent - ...

Heute jährt sich zum 50. Mal das Attentat auf Hitler. Zwar leisteten die Frauen hinter den Männern vom 20. Juli keinen aktiven Widerstand im engeren Sinne.

Aber ihr Wider-Wille erwies sich als überaus konsequent – und auch politisch.

Unscheinbar, privat

Das Attentat ist Männersache.“ Mit dieser Begründung forderte Henning von Tresckow, einer der führenden Köpfe des 20. Juli 1944, seine Vertraute und Sekretärin Margarethe von Oven auf, vor den entscheidenden Tagen Berlin zu verlassen. Dabei war sie die Frau, die den geheimen Walküre-Plan zum Staatsstreich getippt hatte: „Der Führer Adolf Hitler ist tot.“ Als sie gebeten worden war, mitzumachen, hatte sie „ganz schlicht die Angst“ empfunden, „an den Galgen zu kommen“. „Denn“, so sagte sie später, „ich hatte noch allerhand vor im Leben ...“ Dennoch sagte sie ja.

„Den Widerstand haben wir den Männern überlassen“, denn „wir waren mehr die Frauen unserer Männer.“ Auch Marion York von Wartenburg und Freya von Moltke, die regelmäßig an den Planungsgesprächen zum Staatsstreich und künftigen Staatsaufbau teilnahmen, sahen sich eher in einer passiven Rolle. Die beiden promovierten Juristinnen waren aber mehr als nur Gastgeberinnen.

Nach fast 50 Jahren berichteten die noch lebenden Witwen der Männer des 20. Juli in Gesprächen erstmals über ihre eigene Situation. Sie zeigten sich einerseits emanzipiert und gut ausgebildet, andererseits aber ganz der privaten Sphäre verbunden. Sie waren wohl die letzte Generation bürgerlicher Frauen, die ihre Rolle in der Familie nicht anzweifelte. Ihre altmodische Erziehung bestimmte ihre Handlungen und das Terrain, auf dem sie tätig wurden. Vielleicht wurden sie deshalb so lange ignoriert.

Noch Ende der achtziger Jahre verbrachte der Historiker Ulrich Heinemann viele Stunden bei Charlotte von der Schulenburg, um für die Biographie ihres Mannes zu recherchieren. Er war beeindruckt und begeistert von ihrer Persönlichkeit – in seinem Buch hat er sie nur mit Dankeszeilen abgespeist.

Im gerade erschienenen „Lexikon des Widerstandes“ von Peter Steinbach und Johannes Tuchel taucht Frau von Moltke nicht einmal als Ehefrau auf, geschweige denn mit den anderen Frauen in einer eigenständigen Betrachtung ihres weiblichen Beitrags zum Widerstand. Wo und wie Frauen inmitten des Nazi-Terrors, der allumfassenden Bespitzelung und bei Gefahr für ihre Kinder sich einmischten, ist bisher nur selten thematisiert worden, zuletzt in dem Beitrag von Christl Wickert im „Lexikon des deutschen Widerstandes“ von Wolfgang Benz und Walter H. Pehle.

Entscheidung für den „aufrechten Gang“

Die subjektive Seite des Widerstands, bei Männern und Frauen, wird leicht übersehen. Aber ohne die Stärke ihrer Frauen hätten die „Verschwörer“ den äußersten Schritt nicht unternommen, immerhin konspirierten sie gegen den Staat, dem sie „dienten“. Daß sie dabei die Zerstörung ihrer Familien in Kauf nahmen, geht aus ihren Briefen und Handlungen hervor. Damals gab es nur wenige Frauen, die Hitler nicht verzückt zujubelten; Kommunistinnen, die mit ihren Genossen zusammen in der Illegalität gegen Hitler kämpften, die Frauen der Roten Kapelle, Frauen aus der Sozialdemokratie und aus der kirchlichen Arbeit versuchten, im Rahmen ihres sozialen Engagements die Unmenschlichkeit des Regimes zu bekämpfen. Und bürgerliche oder adlige Frauen taten alles in ihrer Macht stehende, um Planung und Durchführung von Attentat und Staatsstreich zu ermöglichen.

Beim Widerstand der Frauen stellt sich die Frage, ob ihr Handeln über das hinausging, was damals von einer liebenden Frau erwartet werden konnte. Der Widerstand der Frauen des 20. Juli war unscheinbar, isoliert, heimlich – er war privat. Aktiven „Widerstand“ im engeren Sinne leisteten sie nicht. Aber ihr Widerstand als Wider-Wille, Wider-Setzung, als Wider-Gefühl, wie Erich Fromm es nannte, erwies sich als überaus konsequent und – im Vollzug ihrer subjektiven Lebensentwürfe – auch als politisch. Sie hatten sich für den „aufrechten Gang“ entschieden. Jenseits der militärischen oder staatsrechtlichen Planungen trugen sie ihren persönlichen Teil zum Staatsstreich bei.

Heute ist es ziemlich schwer, sich vorzustellen, wie einsam Männer und Frauen in einer Diktatur agieren mußten, wie gefährlich jedes offene Gespräch war und wie sehr die Unsicherheit lähmte, was genau zu tun sei und wie. Die Frauen waren es, die die Resignation ihrer Männer miterlebten, wenn geplante Attentatsversuche immer wieder scheiterten. Aber sie schufen für ihre Männer und ihre Kinder eine Gegenwelt zum Faschismus, eine ganz „andere Ordnung“. Ihre in der Familie praktizierte Toleranz und Vernunft schufen ein Bollwerk gegen die zerstörerischen, alles durchdringenden Machtmechanismen der totalitären Gesellschaft und verhalfen allen immer wieder zur Distanz gegenüber jener schrecklichen Welt staatlich legitimierter Unmenschlichkeit, an die man sich – wie wir wissen – „gewöhnen“ kann. „Du mußt bald kommen, damit alles wieder in Ordnung kommt“, schreibt etwa Hans- Bernd von Haeften an seine Frau.

Die Frauen des 20. Juli organisierten so zwischen Öffentlichkeit und Privatheit die politische Tarnung. Manche von ihnen entwickelten eine Haltung „als ob“ – als ob ihnen nichts passieren könnte, wenn sie sich weiterhin wie hilfsbereite Nachbarn, wie ganz normale, nicht konspirative Gastgeberinnen verhielten. Dieses Tun, als ob es die Zerstörungsmaschinerie nicht gäbe, ist eine Art „konstruktiver Selbsttäuschung“, die ihnen einen Handlungsspielraum verschaffte und ihnen zusätzlich eine Aura der Unangreifbarkeit verlieh.

Auch nach dem mißglückten Attentat blieben sie für ihre Männer wichtig. Solange sie nicht selbst in Einzelhaft saßen, konnten sie noch Entscheidendes für die Männer in den Gefängnissen tun: indem sie Nachrichten hineinschmuggelten. Diese Informationsbrücke mag manchem das Leben gerettet haben. Denn auf diese Weise erfuhren Inhaftierte, nicht nur Ehemänner, auch Freunde, wen die Nazis bereits gehängt hatten. Und das war wichtig, denn es gehörte auch unter der Folter zum Ehrenkodex, zum Schutz der Lebenden möglichst nur Namen bereits „Gerichteter“ preiszugeben.

„Sippenhaft“ auch nach Ende der Nazi-Diktatur

Wir heute können uns gar nicht mehr vorstellen, wie selbstverständlich das Dienen Bestandteil dieser Frauenidentität war. Dieser Verzicht auf das eigene Eingreifen, aber auch auf Liebe und Lebensglück, kann als bewußte Entscheidung zugunsten des gemeinsamen Ziels, der Befreiung von der Diktatur, gesehen werden; er weist tatsächlich über die Liebe der Frau zum Mann hinaus. Sie handelten in ihrem Bereich politisch und fanden ihre Form des Widerstands.

Erstaunlich in den Gesprächen: die bescheidene, heitere Gelassenheit dieser Frauen, für die Widerstand selbstverständlicher Alltag war – aber nur im Kreis der Familie und von Freunden. In der Öffentlichkeit hatten sie Probleme. Manche schwankten zwischen dem Stolz, daß ihr Mann „ein ganzer Kerl war“, wie eine der Frauen es ausdrückt, und dem Bedürfnis, sich zu verbergen. Nicht ohne Grund, denn nach dem gescheiterten Attentat waren die Familien gnadenloser Verfolgung ausgesetzt, die Kinder wurden unter fremdem Namen verschleppt.

Die „Sippenhaft“ hielt auch nach dem Ende der Nazizeit an. Die Vermögen der Familien waren konfisziert, und sie befanden sich in derselben Not wie die meisten ausgebombten oder geflüchteten Frauen. Während aber Frau Freisler, die Witwe von Roland Freisler, der die Männer des 20. Juli zum Tode verurteilt hatte, nach dem Krieg die imaginären Beförderungen ihres toten Mannes als Rentenerhöhung verbuchen konnte, mußten die Witwen des 20. Juli sehr lange auf ihre Rente warten oder sich sogar einer „Entnazifizierung“ unterziehen. Die kleine Tochter von Emmi Bonhoeffer mußte sich sogar noch lange nach dem Krieg als „Verräterkind“ beschimpfen lassen.

Der 20. Juli blieb unpopulär, trotz der alljährlich öffentlichen Feiern. Die Witwen blieben immer die anderen: die, die nicht mit dem Strom geschwommen waren. Die, die bei vielen Schuldgefühle auslösten und deshalb ausgegrenzt wurden. Wie eindrucksvoll und zugleich „ganz normal“ sie mit ihrer persönlichen und zugleich öffentlichen Geschichte umgehen, haben viele – zum Glück – jetzt begonnen zu begreifen. Nur ist es für einige von ihnen schon zu spät. Dorothee von Meding

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