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Störungen im Genitalbereich

■ Hochschule der Künste bietet "Visitenkarten" der besonderen Art gegen sexuelle Belästigung an / Die Hälfte der 10.000 Karten wurde bereits an die Frau gebracht

Eine Frau im Minirock in der U- Bahn, ihr gegenüber ein Mann. Seine Augen gleiten über ihr Gesicht, die Brust und die Beine. Nervös schlägt sie diese übereinander und versucht, das Kleid über die Knie zu ziehen. Sie windet sich unter seinen Blicken und wünscht sich nichts sehnlicher, als daß er endlich aussteigt.

Zum Glück können wir Frauen das Aussitzen jetzt wieder unserem männlichen Bundeskanzler überlassen. „Endlich haben Frauen was in der Hand“, freut sich die Frauenbeauftragte der Hochschule der Künste (HdK), Sigrid Haase, über die „Visitenkarten“, die Regina Sankowsky und Annette Michael von der Agentur „bin?!der und partnerinnen“ im Rahmen einer Kampagne zum Thema sexuelle Belästigung an der HdK hergestellt haben. Das Besondere an den Karten: Wenn die Frau in der U-Bahn dem Mann mit dem aufdringlichen Blick ihre „Visitenkarte“ überreicht und er sie in seine schwitzigen Finger nimmt, hinterlassen diese auf der rosafarbenen Karte weiße Flecken. Nach dem „Höhepunkt“ wird die Karte wieder rosa.

Nicht weniger dramatisch war das „Vorspiel“ der Kärtchen. Die an der HdK gedruckten Karten wurden in zwei Verfahren hergestellt: Erst wurde im Offset der Text aufgedruckt und dann im Siebdruck die Farbe, die teuer und nur auf verschlungenen Pfaden erhältlich ist, drübergelegt. Als die Drucker die Karten beschneiden (!) sollten, weigerten sie sich, diese wegen der angekündigten „erheblichen Störungen im Genitalbereich“ auch nur anzufassen. Die Verwaltungsleitung wollte sie gar einstampfen – Klappe zu, Affe tot. Begründung: Die Karten seien nicht „geschmackssicher“. Keiner der Verwaltungsmänner konnte jedoch diesen Begriff verifizieren. Doch der geballte Frauenprotest siegte, und die Männer zogen den Schwanz ein.

Seit Ende Juni werden die Karten auch von der HdK-Leitung verteilt. Haase hat nichts dagegen, daß nicht nur Frauen, sondern auch Männer diese an ihresgleichen weitergeben. Immerhin gaben bei der Fragebogenaktion neben 80 Frauen neun Männer an, an der HdK sexuell belästigt worden zu sein. Obwohl Haase nicht weiß, „was die Männer für Witze über die Karte machen“, ist sie überzeugt, daß sie sich zumindest Gedanken zum Thema sexuelle Belästigung machen würden. Von den 10.000 Karten wurde bereits die Hälfte in Umlauf gebracht. Nachdem die Frauenbeauftragte Haase ihre Kolleginnen an Hochschulen in allen Bundesländern angeschrieben hatte, resümiert sie eine „gute Resonanz“. So bestellte beispielsweise das Feministische Rechtsinstitut in Bonn gleich 300 Karten.

Auch wenn die Modalitäten der Abrechnung noch nicht definitiv geklärt sind und Sigrid Haase und ihre Kolleginnen den Versand neben ihrer eigentlichen Arbeit erledigen, will sie weitere Karten in deutsch, englisch und italienisch drucken lassen. Die Nachfrage zeige, daß es das Problem „sexuelle Belästigung“ gebe und die Karten ein gutes Mittel seien, sich zu wehren. Eine eventuelle Neuauflage hofft sie durch die Einnahmen zu finanzieren. Auch die Kosten, die die Erfinderinnen der HdK als deren Auftraggeber in Rechnung stellten, sollen erstattet werden.

Das Büro „bin?!der und partnerinnen“, das mit den Visitenkarten Frauen etwas in die Hand geben will, um sich zu wehren, „ohne sich in direkte und persönliche Konfrontation begeben zu müssen“ (Sankowsky), mußte sich vor zwei Jahren den Vorwurf sexueller Diskriminierung von Frauen gefallen lassen. Damals wollten sie unter anderem auch in der taz eine Fahrradbeilage schalten, die sich speziell an Frauen wandte. Mit mehreren Doppelseiten nackter Männerschwänze, die nicht einmal Platz für die kleinste Fahrradspeiche ließen, sollten Frauen „mit der richtigen Einstellung in den Sattel gehoben“ werden. Nach langen Für- und-Wider-Diskussionen in der taz und nachdem die Agentur versucht hatte, die Beilage ohne vorherige Angabe des Inhalts ins Blatt zu bringen, entschied der damalige Chefredakteur, die Beilage mit der „Ästhetik klassischer Schwulenpornos“ aus Rücksicht auf Leserinnen und Angst vor Abokündigungen abzulehnen.

Bestellung der „Visitenkarten“ zum Preis von 50 Pfennig, ab 300 Stück 30 Pfennig, bei der Frauenbeauftragten der HdK, Ernst-Reuter- Platz 10, 10587 Berlin, Tel.: 31 85 26 47 Barbara Bollwahn

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