: Hinweis auf Huxley Von Mathias Bröckers
Mit den letzten Worten großer Persönlichkeiten ist das so eine Sache. Ob der Hotelpatriarch Hilton wirklich ein letztes „Der Duschvorhang gehört nach innen!“ hauchte oder der Olympier Goethe „Mehr Licht!“ – das bleibt für immer im Reich des Anekdotischen. Der Schriftsteller Aldous Huxley, der heute 100 Jahre alt geworden wäre, hat seine letzte Botschaft im November 1963 schriftlich hinterlassen: „LSD, 100 mg, try it“, kritzelte er seiner Frau Laura auf einen Zettel, als er spürte, daß es zu Ende ging.
Huxleys Bitte wurde erfüllt – der bewußtseinserweiterende Wirkstoff des Mutterkorns, der schon bei den archaischen Einweihungsriten im griechischen Eleusis benutzt worden war, um Geburt und Tod erfahrbar zu machen, half ihm über die Schwelle. Zur selben Zeit fielen in Dallas die Schüsse, die Präsident Kennedy ums Leben brachten – Amerika verlor die größte politische Persönlichkeit der Epoche, und die Welt der Wissenschaft, der Literatur und Philosophie eines der luzidesten Gehirne dieses Jahrhunderts: einen Pionier im Weltraum des Bewußtseins, der das Abenteuer des Geistes bis ins Sterben hinein ernst nahm.
Über die Heilung seiner psychosomatischen Beschwerden war Huxley in den 30er Jahren mit Meditation und ganzheitlicher Medizin vertraut geworden – und stand von da an seiner kritisch-rationalistischen Skepsis immer skeptischer gegenüber. Sein berühmter Großvater Thomas Huxley, ein Mitstreiter Charles Darwins, hatte einst den Begriff „Agnostiker“ geprägt, um sein Verhältnis zur Religion zu definieren, und für den Enkel hatte die Ablehnung jeder Metaphysik jahrzehntelang zur intellektuellen Grundausstattung gehört – bis eine Dosis Meskalin sein Bewußtsein eines anderen belehrte. Daß eine biochemische Veränderung des Wahrnehmungsapparats diesen zu tieferer Erkenntnis der Realität führen kann, stand für Aldous Huxley ganz selbstverständlich in der naturwissenschaftlichen Familientradition.
„Mystik“, so Huxley „beruht auf direkter Erfahrung, ebenso wie die Argumente der Naturwissenschaftler auf direkten Sinneswahrnehmungen beruhen.“ Seine Veröffentlichungen über die erkenntnisschärfenden und beglückenden Erfahrungen mit psychedelischen Drogen („Die Pforten der Wahrnehmung“, „Himmel und Hölle“, „Moksha“ – alle Piper-Verlag) wurden von vielen Zeitgenossen als „verantwortungslos“ verurteilt – was Huxley entsetzte: „Wie merkwürdig, daß etwa Belloc oder Chesterton das Lob des Alkohols singen dürfen (der für zwei Drittel aller Autounfälle und drei Viertel aller Gewaltverbrechen verantwortlich ist) und als gute Christen und feine Kerle angesehen werden, während jemand, der es wagt, daß es vielleicht noch andere und weniger schädliche Abkürzungswege zur Ich-Transzendenz gibt, wie ein gefährlicher Drogenteufel und gottloser Verführer einer schwachköpfigen Menschheit angesehen wird.“ Erst die junge Generation der 60er Jahre entdeckte Aldous Huxley als Kartograph und Pionier der Bewußtseinsforschung. Neben dem Weltruhm, den ihm die Anti-Utopie „Schöne neue Welt“ einbrachte, sind es vor allem diese Essays, die das Werk des heute Hundertjährigen auch noch für das nächste Jahrhundert aktuell machen.
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