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Kehrtwende in der Raba-Planung

■ Neues Gutachten vergeben: Entscheidung für MVA-Nachfolge wieder offen

Bremsspuren im Umweltressort: Gestern hat der neue Umweltstaatsrat Manfred Morgenstern den Planungsstand für die Nachfolge der Müllverbrennungsanlage bekanntgegeben – und eine scharfe Kehrtwende in der Müllpolitik vollzogen. Umweltsenator und Bremer Entsorgungsbetriebe (BEB) haben ein weiteres Gutachten zur Zukunft der Bremer Müllentsorgung in Auftrag gegeben. Darin sollen noch einmal die verschiedenen Varianten der Restabfall-Behandlungsanlage (Raba) überprüft werden, mit offenem Ausgang, wie Morgenstern betonte: „Es gibt keine Vorentscheidung in die eine oder andere Richtung.“ Damit ist vom Tisch, was das Umweltressort über Monate vertreten hatte: Die eindeutige Präferenz einer relativ neuen Entsorgungs-Technologie, der Flugstromvergasung. Daneben werden nun vier weitere Varianten überprüft, darunter auch die klassische Müllverbrennung. Ende Oktober soll das 175.000 Mark schwere Gutachten des Hannoveraner Ingenieurbüros Fichtner fertig sein. Dann erst soll entschieden werden, welches Büro den dicksten Auftrag absahnen kann: 1,5 bis 1,6 Millionen für die komplette Anlagenplanung.

Schon einmal hatte der Umweltsenator ein Gutachten zur Raba anfertigen lassen. Das sei mittlerweile technisch überholt, rechtfertigt Morgenstern den neuerlichen Auftrag. Mit der Entscheidung für ein erneutes Gutachten läutete der neue Umweltstaatsrat eine Atempause in gleich mehreren Glaubenskriege um die Zukunft der Entsorgung ein. Morgensterns glückloser Vorgänger, Uwe Lahl, hatte so vehement auf die Flugstromvergasung gesetzt, daß er damit tiefes Mißtrauen nicht nur im Senat erzeugt hatte. Monatelang hatte innerhalb der Ampel und mit den Umweltverbänden der Streit darüber getobt, ob und welkche weiteren Technologien geprüft werden sollten. Die Vehemenz Lahls scheint auch im eigenen Hause nicht unbedingt überzeugt zu haben. Manfred Morgenstern: „Wir wollen mit dieser Studie die Auswahl objektivieren.“

Zum zweiten hatte sich die Umweltbehörde bei der Flugstromvergasung auch nur auf eine Variante versteift, bei der Methanol erzeugt wird. Das, so hatte es unisono von der Ressortspitze geheißen, sei der Gipfel der Technik. Gestern wollte davon niemand mehr etwas wissen. Im Gegenteil: Nun soll das Kriterium Energieausstoß in die Beurteilung der verschiedenen Raba-Varianten eingehen. Hintergrund ist die Zusage der Stadtwerke, das Fernwärmenetz im Bremer Osten erheblich auszubauen. Und damit ist die Methanolvariante für die Raba vom Tisch und eine zweite Variante kommt ins Spiel, bei der die erwünschte Wärme erzeugt wird.

Drittens hatte das Ressort, vornean Umweltsenator Fücks, zäh am Schließungstermin der MVA festgehalten. Auch der war von allen Seiten angezweifelt worden. Niemals könne das Umweltressort halten, was es versprochen hatte: 1997 könne die Anlage nicht mehr den schärferen gesetzlichen Grenzwerten entsprechen. Das hörte sich gestern ganz anders an. Vor dem Jahr 2000 werde die neue Raba nicht fertig, so Morgenstern. Die MVA sei aber entgegen vorheriger Behauptungen ausreichend nachgerüstet, um die Zeit zu überbrücken.

Verfügbarkeit der Technik, Wirtschaftlichkeit im Betrieb, die Enertgieverwertung für Fernwärme, die Emissionen und die Reststoffbehandlung, das sind die Kriterien, nach denen jetzt geprüft wird. Insbesondere der letzte Punkt macht den UmweltpolitikerInnen dabei Sorgen. Bei der Müllverbrennung entsteht Schlacke. Wer die mit einer anderen Technologie vermeiden will, hat ein anderes Problem am Hals. Sowohl beim Thermoselectverfahren als auch bei der Flugstromvergasung fallen erhebliche Mengen kontaminierten Wassers an. Bei einer Flugstromanlage im Bremer Maßstab von gut 120.000 Tonnen Müll im Jahr wären das 38.000 Tonnen Abwasser – nur niemand weiß, wie die geklärt werden könnten. Und jede Klärstufe würde Energie verbrauchen, die dann wiederum der Fernwärmeleistung der Anlage fehlen würde.

Nach den vermeintlichen Vorentscheidungen des Umweltsenators scheint die Zukunft der Müllentsorgung nun offener denn je. Bernd Langer, Müllexperte vom BUND: „Seit gestern weiß ich auch nicht mehr.“ J.G.

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