: Weltrekorde, doch kaum einer sieht zu
■ Die Zuschauermisere bei der Leichtathletik-WM der Behinderten wird zum Imageproblem Berlins / Auch an der Vorbereitung haperte es: Politische Lobbyarbeit beschränkte sich nur auf wirtschaftliche Hilfe
„Und wissen Sie, was das Schlimmste ist: Schauen Sie sich doch um, niemand ist hier.“ Der passionierte Sportfan im Rentenalter schaut sich resigniert im gähnend leeren Olympiastadion um. Gerade hat der Amerikaner David Larson einen neuen Weltrekord über 400 Meter der Rollstuhlfahrer aufgestellt. „Und das im Halbfinale! Einfach fantastisch“, ruft er euphorisch. „Die Leute wissen gar nicht, was sie verpassen“, fügt er hinzu und rückt die Kühltasche neben sich zurecht. Außer ihm verlieren sich vielleicht noch 300 Zuschauer im Stadion.
In der Tat: Die Leichtathletik- Weltmeisterschaften der Behinderten in Berlin sind, was die Gunst des Publikums anbelangt, ein gnadenloser Flop. Enttäuscht darüber sind natürlich nicht nur Sportfans, die in der brütenden Hitze durchhalten. Vor allem die Akteure selbst, denn sie sind wahrhaft anderes gewohnt. Mehr als 30.000 Zuschauer kamen zu den Paralympics in Barcelona vor zwei Jahren.
Im Laufe der zehntägigen Weltmeisterschaften, die am Sonntag zu Ende gehen, schlägt die Enttäuschung in Wut um. „Kein Wunder, daß niemand kommt, bei dem Schmalspurbudget“, beklagt Gunther Belitz, Weit- und Hochspringer im deutschen Team. „Ein wenig Einsatz muß das Organisationskomitee schon leisten!“
Die Vorbereitung der Veranstaltung lief nicht gerade vorbildlich ab. Erst gut eine Woche vor Beginn der Wettkämpfe wurde mit der Plakatierung der Weltmeisterschaften begonnen. „Das liegt an der extrem kurzen Vorbereitungszeit. Wir hatten nur anderthalb Jahre. Das Paralympics-Team in Barcelona konnte wesentlich langfristiger planen“, rechtfertigt sich der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), Reinhard Krippner. Andere Stimmen bemängeln die Wahl des Veranstaltungsortes. Das Olympiastadion sei zu groß. Die Organisatoren hätten ein kleineres Stadion wählen müssen.
Auch die politische Lobbyarbeit hat sich offenbar nur auf wirtschaftliche Hilfe beschränkt. Zwar könnten die Weltmeisterschaften ohne die mehrheitliche Finanzierung vom Bund (2,7 Millionen Mark) und dem Land Berlin (2,2 Millionen Mark) wohl kaum stattfinden, doch die Präsenz der Politiker bleibt spärlich. Selbst Bundeskanzler Helmut Kohl, der Schirmherr der Weltmeisterschaft ist, ließ sich bei der Eröffnungsfeier durch seinen Minister Friedrich Bohl vertreten.
Die Zuschauermisere wird unterdessen zum ernsthaften Imageproblem der Bundeshauptstadt. Berlins Sozialsenatorin Ingrid Stahmer fordert die Bevölkerung inzwischen offiziell zum Besuch der Wettkämpfe auf. Seit Mittwoch ist sogar für alle WM-Besucher der Eintritt frei. Doch auch weiterhin zieht es die Sportbegeisterten eher ins benachbarte Schwimmstadion. Die Ränge im Olympiastadion bleiben indes, trotz 21 Weltrekorden in vier Tagen, weiterhin leer.
Die sportlichen Leistungen finden aber selbst bei Pressekonferenzen nicht in erster Linie Beachtung. Vielmehr wird das Gespräch krampfhaft auf das Thema Sponsoring gelenkt. Werbeverträge über eine Million Mark sind auch im Behindertensport keine Seltenheit mehr. Das Geschäft boomt. Um so schlimmer sind die Befürchtungen, durch mangelndes Interesse Sponsoren wieder zu verlieren. Sie müßten auch in Zukunft durch die sportlichen Leistungen zum Weitermachen animiert werden, sagt Hans Knöller vom Behindertensportbund.
Trotz leerer Ränge und Anflügen von Wut ist die Motivation der Athleten aber weiterhin ungebrochen. „Ich bin unheimlich froh, hier zu sein“, strahlt die Rollstuhlfahrerin Birgit Pohl aus Thüringen, frischgebackene Weltrekordhalterin im Diskuswurf. „Zu DDR-Zeiten konnte ich nicht an internationalen Wettkämpfen teilnehmen. Jetzt ist das viel besser!“ Thaddäus Hermann (epd)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen