: Ozonalarm in Hessen und Bonner Büros
Auch kleine Kinder werfen lange Schatten. Je tiefer die Sonne abends am Himmel steht, desto höher klettern die Ozonwerte in der Luft. Die ultravioletten Strahlen haben viele heiße Stunden lang Zeit gehabt, Tonnen von Autoabgasen in den Stoff umzuwandeln, der auch die Erwachsenen zu Tränen reizt. In der hessischen Luft stieg die Ozonkonzentration so hoch an, daß das Umweltministerium gestern seinen Alarmplan in Kraft gesetzt hat. Er sieht Geschwindigkeitsbegrenzungen vor. Auf Bundesstraßen sollen höchstens 80 Kilometer in der Stunde gefahren werden, auf Autobahnen 90. Kein anderes Bundesland hat solche Vorschriften erlassen. Wirksam sind sie auch hier nicht, denn wer sich nicht daran hält, wird nicht bestraft.
Da könnten hustende Kinder schon neidisch werden. Ihnen wird kein Pardon gegeben: draußen nicht, drinnen erst recht nicht. Umweltbewußte Eltern sperren sie in die Wohnung ein, Maul halten – Ozonalarm total.
Politiker müßte man sein. Die dürfen reden, sie haben Begriffe und nicht nur dieses Kratzen im Hals. Klaus Töpfer zum Beispiel, Umweltminister in Bonn und Christdemokrat, sagte gestern im klimatisierten Saal des Presseamtes: „Für meine Begriffe ist dies keine Maßnahme, um die Ozonbelastung zurückzuführen.“ Er meinte die hessischen Tempobegrenzungen für Autos, die auch Verkehrsminister Wissmann nicht für gerechtfertigt hält.
Der Christdemokrat darf mit Beifall auf der Schnellstraße rechnen. Mindestens 40 Prozent der hessischen Autofahrer sind ganz seiner Meinung. Bei ihnen blieb der Fuß auf dem Gaspedal, das Warnschild rauschte ungelesen vorbei. Spitzenwerte von 160 Stundenkilometern bei 240 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft wurden gemessen.
Das ließ auch die Sozialdemokraten nicht mehr ruhig auf ihren Stühlen sitzen. Sie sahen die Stunde klimatisch ausgewogener Radikalität gekommen. Langsam fahren reicht ja nicht, weswegen die Partei jetzt ganz energisch einen „Maßnahmenkatalog“ fordert.
Niklaus Hablützel
Foto: David Hornback/Paparazzi
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen