: Kurden hungern gegen Abschiebung
Seit mehr als einer Woche sind in Hildesheim zehn Kurden aus der Türkei im Hungerstreik, weil Ali Yavuz am 2. August abgeschoben werden soll / Für Samstag ist eine Demonstration geplant ■ Von Reimar Paul
„Der Hungerstreik kostet mich jeden Tag zehn Mark.“ Zunächst wird nicht klar, was Izzettin Erkek damit meinen könnte. Doch dann kramt der 28jährige kurdische Asylbewerber in seinem Rucksack und zieht die Kopie eines Widerspruchs hervor, den sein Anwalt am Vortag an das Sozialamt der Stadt Bad Salzdetfurth geschickt hat. Die Behörde will Erkek zehn Mark vom kümmerlichen Taschengeld abziehen, weil der Flüchtling „gegenwärtig ja nicht ißt“.
Izzettin Erkek verweigert seit dem 19. Juli die Aufnahme fester Nahrung. Gemeinsam mit ihm hungern in der Geschäftsstelle des niedersächsischen Flüchtlingsrates neun weitere Kurden aus der Türkei. Sie wollen mit ihrer Aktion erreichen, daß ihr Landsmann Ali Yavuz aus dem Wolfenbütteler Abschiebeknast entlassen und seine für den 2. August geplante Abschiebung ausgesetzt wird.
Yavuz lebt mit seiner Frau und seinen beiden fünf und acht Jahre alten Söhnen seit dem Herbst 1989 in Deutschland. Als angeblicher Sympathisant der PKK wurde er in seinem Heimatort in der Provinz Gaziantep von der Polizei verfolgt, mehrfach eingeknastet und gefoltert. Das Zirndorfer Bundesamt und später das Verwaltungsgericht in Hannover hielten die von Yavuz vorgelegten Dokumente – Haftbefehl und schriftliche Zeugenaussagen – für gefälscht und lehnten das Asylbegehren ab. Am 4. Juli stellte der 30jährige einen Asylfolgeantrag. Türkische Zeitungen hatten sein Bild und seinen Namen im Zusammenhang mit hiesigen Kurden- Demos veröffentlicht. Rechtsanwalt Michael Anding, der die Familie vertritt, rechnet deshalb mit „sofortiger Inhaftierung bei seiner Rückkehr in die Türkei“. Am 7. Juli nahmen Polizeibeamte Yavuz in der Ausländerbehörde fest. Trotz einer erfolgreichen Beschwerde gegen den Haftbefehl hat sich der Hildesheimer Amtsrichter Christian Stoll, gegen den schon mehrere Disziplinarverfahren wegen rechtsextremer Umtriebe anhängig waren, bislang geweigert, Yavuz freizulassen. Über eine Wiederaufnahme des Asylverfahrens ist noch nicht endgültig entschieden worden.
Die lokalen Medien haben bislang nur zögerlich über den Hungerstreik berichtet. Für das kommende Wochenende ist eine Demonstration geplant. Der Flüchtlingsrat bemüht sich derweil auch um eine Lösung auf politischer Ebene. In einem Brief an das Innenministerium in Hannover und an die Landtagsfraktion hat das Gremium die Ausweitung des bestehenden Abschiebestopps auf weitere türkische Provinzen gefordert. Die Übernahme dieser „vom türkischen Regime willkürlich gezogenen Grenzen“ werde der „dramatisch verschlechterten“ Situation der kurdischen Bevölkerung in den übrigen Landesteilen der Türkei nicht gerecht, sagt der Geschäftsführer des Flüchtlingsrates, Kai Weber. „Wenn Yavuz in Hessen oder Nordrhein-Westfalen leben würde, könnte er hierbleiben.“ Dort gilt der Abschiebestopp für insgesamt 22 türkische Provinzen. Auch für Gaziantep.
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