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Wenn der Pfandsiegel-Terminator kommt

■ Besonders im Osten sind die Gerichtsvollzieher auf dem Vormarsch Ihr Verbandsvorsitzender meint: Wir arbeiten an der Grenze der Belastbarkeit

Zack! Schon steht der Fuß zwischen Tür und Angel. Mit der Gewandtheit eines Ballettänzers schlängelt sich der ungebetene Gast an dem verblüfften Wohnungsinhaber vorbei, gibt sich als Gerichtsvollzieher zu erkennen und eröffnet dem Zahlungsunfähigen den Vollstreckungsbescheid.

Dem Opfer bleibt angesichts dieser rüden Kennenlernmethode meist nur noch autogenes Training gegen die zähneknirschende Wut. Kaum einer, der sich nicht geschändet fühlt, wenn ein kuckuckklebender Staatsdiener den Hausrat mit kleinen grünen Marken verhunzt und sich damit amtliche Optionen auf den Besitz desselben verschafft.

Was auf den zu Pfändenden wie die Verhängung des Kriegsrechts wirkt, ist zwischenzeitlich längst zum Massenphänomen gediehen. Die Zwangsvollstreckungsrate in Berlin, insbesondere im Ostteil der Stadt, hat sich im vergangenen Jahr fast verdoppelt.

Daß bei einem derartigen Pfändungsboom manchmal die amtliche Genauigkeit auf der Strecke bleibt, verdeutlicht der Fall von Amina W. aus Berlin- Mitte. Noch heute erinnert sie sich mit Entsetzen an den Tag, an dem sie, von der Arbeit kommend, ihre Wohnungstür aufgebrochen vorfand. Dem formlosen Zettel auf dem Küchentisch konnte sie entnehmen, daß ein Gerichtsvollzieher den Einbruch verursacht hatte. Dabei hatte die junge Frau überhaupt keine Schulden. Jetzt aber hing ihre Wohnungstür mit aufgebrochenem Türschloß in den Angeln. Nach einem Anruf stellte sich heraus, daß der Pfändungsversuch ein Irrtum war. Der Beamte hatte sie mit einem Mann gleichen Nachnamens verwechselt.

Rennerei hatte sie trotzdem, und die begann damit, daß sie zunächst mal die rund fünfhundert Mark für die Schloßreparatur auftreiben mußte. Als sie schließlich nach zwölf Wochen ihr Geld erstattet bekam, fehlten hundertfünfzig Mark. Das Amtsgericht hatte entschieden, daß der Schloßbeschlag, den der Schlüsselnotdienst montiert hatte, überflüssig gewesen sei und daß sie nun ein qualitativ erheblich hochwertigeres Türschloß habe als zuvor. Trotz einer eingereichten Bescheinigung des Schlüsseldienstes, der die Verbesserung als notwendige und übliche Installation bestätigte, weigerte sich die Sachbearbeiterin beim Amtsgericht in Moabit, den korrekten Betrag zu erstatten. Nach einigen vergeblichen Appellen an den gesunden Menschenverstand der Sachbearbeiterin, einer Frau Krüger, mußte sie schließlich aufgeben.

Diese Behördentragödie sei eine Ausnahme, gewöhnlich fänden die Gerichtsvollzieher den richtigen Klienten, behauptet Gerd Schulz, Vorsitzender des Landesverbandes der Berliner Gerichtsvollzieher. Der Verbandschef der rund 200 Berliner Gerichtsvollzieher ist seit dreißig Jahren in diesem Beruf tätig. Ein Job, der ein besonderes Maß an Einfühlungsvermögen und eine durchsetzungsfähige Persönlichkeit verlangt. Ob er sich als gefährdet empfindet? „Manchmal kommt es schon vor, daß Leute aggressiv reagieren“, erzählt er, „aber im Allgemeinen sind die Zahlungsunfähigen schon vernünftig.“

Zu Situationen, die, wie er sagt, „nicht spurlos an einem vorbeigehen“, käme es allerdings schon mal bei Vormundschaftsangelegenheiten. Denn neben der Zwangsvollstreckung unbezahlter Geldforderungen gehören auch Zwangsräumungen und Kindeswegnahmen im Rahmen des Vormundschaftsrechts zu den Aufgaben eines Gerichtsvollziehers.

Erst jetzt, mit einer zeitlichen Verzögerung, sind im Pfändungsbereich die Folgen der wirtschaftlichen Rezession spürbar: „Wir kommen mit der Arbeit kaum noch nach“, sagt der Beamte und verweist auf die häufig dramatische Verschuldung der Menschen in der ehemaligen DDR, die sich nach der Wende finanziell übernommen hatten. Zudem mangele es dem zweitältesten Gewerbe der Welt an Nachwuchs, meint Gerd Schulz, der seinen Beruf als Berufung begreift, denn: „Gerichtsvollzieher wird man nicht, zum Gerichtsvollzieher muß man geboren sein!“ Peter Lerch

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