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Das Versagen des Verbandes

Die Leichtathletik-Weltmeisterschaft der Behinderten brachte rund 80 Weltrekorde, doch die Organisatoren ernten massive Kritik  ■ Aus Berlin Ralf Köpke

Stell Dir vor, es ist Leichtathletik-Weltmeisterschaft der Behinderten und keiner geht hin. Keine Fiktion, sondern traurige Wirklichkeit in der vorigen Woche im Berliner Olympia-Stadions. Diese Spiele unter Ausschluß der Öffentlichkeit sind für Harald von Selzam nur eine logische Folge von „vertanen Chancen“, die sich der Deutsche Behinderten-Sportverband (DBS) an den Hut stecken muß. Der Berliner Sportwissenschaftler, der bei der Berliner Olympia GmbH für die Paralympics-Planung zuständig war, hat während dieser Zeit genügend Einblick in das Innenleben des weltweit größten, 240.000 Mitglieder starken Behinderten-Sportverbandes nehmen können: „Statt selbst Akzente zu setzen, muß der DBS immer zum Jagen getragen werden.“

Die Paralympics-Bewerbung habe, so von Selzam, dem DBS als Aufsichtsratsmitglied der Olympia GmbH „Türen zur Crème de la Crème in Politik und Wirtschaft geöffnet, von denen andere Sportverbände nicht einmal zu träumen wagen“. Doch statt diese Bühne zu benutzen, „um den Behindertensport auf ein Niveau zu katapultieren, damit er endlich ernstgenommen wird“, habe die DBS-Spitze gezaudert und „null Akzente“ gesetzt.

Möglichkeiten, Akzente in der Außenwirkung zu setzen, habe der Behinderten-Sportverband genug gehabt: „Im Rahmen der Olympia- Bewerbung haben wir mit der Rollstuhlbasketball-Europameisterschaft, der Generalversammlung des „International Paralympic Comitee“ (IPC) und schließlich der Leichtathletik-WM drei hochkarätige Veranstaltungen innerhalb von zwei Jahren nach Berlin geholt, die der DBS als Präsentationsmöglichkeiten einfach ungenutzt ließ“, so Harald von Selzam gefrustet, dessen Kontakte und Erfahrungen sich nun das Organisationskomitee für die Paralympics in Atlanta 1996 gesichert hat (und, wen wundert's, nicht der DBS). Seine Prognose: „Nach diesen ungenutzten Großchancen wird der Verband in seine verknöcherten Strukturen von vor 1990 zurückfallen.“ Frust auch bei den DBS-Aktiven: Gunther Belitz, Aktivensprecher der körperbehinderten Athleten, nahm kein Blatt vor den Mund: „So dilettantisch, wie der DBS als Ausrichter diese WM organisiert hat, hat er uns Sportlern, die wir seit Jahren um eine bessere gesellschaftliche Anerkennung kämpfen, schwer geschadet.“ Statt sofort nach dem Zuschlag für die Leichtathletik-WM während der Winter-Paralympics in Albertville 1992 mit den Vorbereitungen zu beginnen, habe der DBS anderthalb Jahre Zeit verstreichen lassen: Das Organisationskomitee konnte erst zu Beginn dieses Jahres mit seiner Arbeit beginnen. Belitz nennt es ein „Unding“, die hauptamtlichen Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle während der WM in den Urlaub zu schicken – „ohne die Hausaufgaben gemacht zu haben“.

Ungenügend, so der oberschenkelamputierte Weit- und Hochspringer vom TV Wattenscheid, sei die Unterbringung in einer amerikanischen Kaserne mit langen Anfahrtszeiten zum Stadion gewesen, die Verpflegung ein Graus, und daß es bis zur WM-Halbzeit keine DBS-Teamleitung gegeben hat, „sehe ich als Desinteresse an der eigenen Mannschaft“. Rollstuhlsportler Winfried Sigg bringt das so auf den Punkt: „Bei einem großen Wettkampf habe ich mich noch nie so alleine gelassen gefühlt.“ Ein anderer bundesdeutscher WM- Teilnehmer, der lieber ungenannt bleiben möchte: „Wenn Krippner (der amtierende DBS-Präsident, d. Red.) von uns Sportlern wiedergewählt werden müßte, bekäme er kaum Zustimmung.“

Reiner Krippner, Sozialrichter in Bayreuth, machte zum ersten Mal während seiner Amtszeit Erfahrungen mit einem Phänomen, das für die Herren Vogts, Effenberg und Co. zum Alltag gehört: Schlechte Pressekritiken. Richtig ist, daß der Behindertensport hierzulande von den Medien stiefmütterlich wahrgenommen und wenn, dann immer unter eine Art von Naturschutz gestellt wird. Statt Fehler in der Vorbereitung einzuräumen, hat Krippner das Übel ganz woanders entdeckt: „Wir waren einfach nicht auf so viele Medienanfragen vorbereitet und werden bei der nächsten Großveranstaltung Biographien unserer Teilnehmer anbieten.“ Eine wahrhafte Revolution in Sachen Öffentlichkeitsarbeit steht also bevor.

Bei der (berechtigten) Kritik an der WM-Organisation, der Wahl des Berliner Olympia-Stadions als Austragungsort oder an dem geringen Zuschauerzuspruch, ging ein selbstkritischer O-Ton Krippners auf der Abschlußkonferenz fast unter. Der DBS müsse erkennen, daß er nicht mehr alles alleine machen könne. Ratsam sei die Zusammenarbeit der einzelen Fachverbände im Behindertensport mit den Nationalen Sportverbänden (z.B. die behinderten Schwimmer mit dem Deutschen Schwimmverband). „Das heißt nichts anderes“, so Aktivensprecher Belitz, „daß der DBS-Präsident seinen eigenen Verband in Frage stellt.“ Denn nach der verbandsinternen Aufteilung im Behindertensport sind die Landesverbände für den Rehabilitations- und Integrationssport zuständig, dem DBS obliegt allein die Verantwortlichkeit für den Leistungssportbereich. „Und wenn die Verbandsspitze diese Aufgabe nicht mehr ausfüllen kann“, so Belitz, „bleibt nur zu fragen: Quo vadis, DBS?“

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