piwik no script img

„Sie sind entschlossen, uns hinzurichten“

Weil sie sich für die Rechte der KurdInnen in der Türkei stark machten, fordert die Staatsanwaltschaft in Ankara für sechs Abgeordnete der „Partei der Demokratie“ die Todesstrafe  ■ Aus Ankara Ömer Erzeren

„Ich bin kurdisch und bleibe es“, sagte die Abgeordnete Leyla Zana, als sie 1991 vor dem türkischen Parlament in Ankara ihren Amtseid leistete. In dem amtlichen Protokoll heißt es, sie habe „in einer unbekannten Sprache“ gesprochen. Dabei wußten sowohl die ProtokollantInnen als auch die anderen ParlamentarierInnen genau, welche Sprache sie hörten: Kurdisch. Heute steht die Abgeordnete zusammen mit fünf anderen ehemaligen Abgeordneten der „Partei der Demokratie“ (DEP) in der türkischen Hauptstadt vor dem Sicherheitsgericht. Wegen „Separatismus“ und „Gefährdung der Integrität des Staates“ droht Leyla Zana, Hatip Dicle, Ahmet Turk, Orhan Dogan, Sirri Sakik und Mahmut Alinak nach Artikel 125 des türkischen Strafgesetzbuches die Todesstrafe.

Die von acht Staatsanwälten vorbereitete Anklageschrift wirft den KurdInnen vor, „in ihren Schriften und Erklärungen“ die territoriale Einheit des Landes zu leugnen. Damit hätten sie in ihrer Funktion als Parlamentsabgeordnete gemeinsame Sache mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gemacht.

Der heute beginnende Prozeß ist der vorläufige Höhepunkt einer gesteuerten, staatlichen Kampagne. Sie zielt darauf ab, diejenigen, die eine politische Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts anstreben, mundtot zu machen. Nachdem die jetzt vor Gericht Stehenden in das Abgeordnetenhaus eingezogen waren, hatte der türkische Generalstabschef Dogan Güreș festgestellt, daß „Terroristen im Parlament sitzen“. Ministerpräsidentin Tansu Çiller griff die Formulierung auf und forderte Anfang dieses Jahres die Aufhebung der parlamentarischen Immunität: „Wir können nicht zulassen, daß die PKK im hohen Parlament sitzt.“ Im Schnellverfahren wurde die Immunität der Abgeordneten am 2. März aufgehoben. Die politische Polizei wartete damals bereits vor dem Parlamentsgebäude, um die PolitikerInnen festzunehmen und abzuführen.

Der Abgeordnete Mahmut Alinak, gegen den die Staatsanwaltschaft jetzt die Todesstrafe beantragt, hatte die letzte Gelegenheit vor der Parlamentstribüne zu sprechen, bevor ihm das Mikrofon kurzerhand abgestellt wurde: „Falls ein General es will, stellt ihr auch hier im Saal einen Galgen auf“, sagte er. Der Abgeordnete Sirri Sakik kommentierte damals: „Sie sind fest entschlossen uns hinzurichten. Sie denken offensichtlich, daß sich die kurdische Frage löst, wenn wir am Galgen hängen. Doch die Geschichte wird zeigen, daß wir recht hatten.“

Die „Partei der Demokratie“ existierte gerade mal ein Jahr. Im Juni 1993 wurde sie gegründet und im Juni dieses Jahres verboten. Die Verbotsbegründung des türkischen Verfassungsgerichtes macht klar, daß nach Ansicht der Richter auch reformerische Forderungen in der Türkei illegal sind. Die Verfassung der Türkischen Republik lasse es nicht zu, daß politische Parteien ein föderatives System fordern, heißt es in der Begründung. Von einer „kurdischen Nation“ zu sprechen, sei demnach verfassungsfeindlich.

Doch Mitglieder der DEP und ihrer ebenfalls verbotenen Vorgängerin „Arbeitspartei des Volkes“ (HEP) wurden nicht nur Opfer politischer Justiz. Durch die Geschichte der Parteien zieht sich eine Blutspur. Dutzende Funktionäre – unter ihnen ein Abgeordneter – wurden von Todesschwadronen verschleppt und ermordert. Büros der Partei waren Ziele von Bombenanschlägen.

Die sechs jetzt in Ankara vor Gericht stehenden Abgeordneten haben angekündigt, daß sie politische Verteidigungsreden halten werden. Über 400 Anwälte werden sie verteidigen. Der Rechtsanwalt Yusuf Alatas faßte die „Logik der Anklageschrift“ vor Prozeßbeginn folgendermaßen zusammen: „In der Türkei gibt es eine einzige Nation und zwar die Türkische. Von anderen Nationen oder Völkern zu sprechen ist verfassungsfeindlich und Unterstützung des Terrorismus.“

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen