: Ein Leben gegen die Klischees
■ Die niederdeutsche Dichtung: ständig umarmt, häufig mißbraucht/ Zum 100. Geburtstag der Heimatdichterin Alma Rogge, z. Zt. im Kernkraftwerk ausgestellt
Geben Sie es zu, auch Sie sehen die plattdeutsche Heimatdichterin automatisch von bunten Blumensträußen, großkarierten Tischdecken und vielen, vielen Kindern umrahmt. Im Hintergrund nickt die Milka-Kuh oder landschaftsbedingt eine wollige Heidschnuckenherde. Alma Rogge, die am 24.7. hundert Jahre alt geworden wäre, trug ihr Leben lang nur dunkle Jackets, weiße hochgeknöpfte Hemden und eine kurze Herrenfrisur. Und Kinder hatte sie auch nicht.
Der Versuch sie in das Klischee zu pressen, wurde anläßlich ihres Geburtstags dennoch unternommen. In den Lokalzeitungen fand sich nur Biederes. Was darüber hinaus geht, ist eine überaus ärgerliche Großveranstaltung: die Alma-Rogge-Ausstellung im Kommunikationszentrum des Kernkraftwerks Unterweser.
Dieser Fall von Leichenfledderei vermeldeten wir (s. taz 12.7.) und damit ist der Tatbestand noch poetisch ausgedrückt. Das Kernkraftwerk Unterweser (KKU), in der Region nicht gerade beliebt, hat sich offensichlich eingebildet, mit einer Ehrung der plattdeutschen Schriftstellerin, die in der Region bei den Leuten immer noch beliebt ist, könne man sich das Image aufpolieren und einen ökologisch verträglichen, grünen Punkt gewinnen. Sowohl die Fachleute, als auch die Freunde finden, daß solch ein Geburtstagsgeschenk von der Naturschützerin Alma Rogge wohl eher als Buttersäureattentat, denn als Buttercremetorte empfunden worden wäre. Dieter Ehlers, Freund der Autorin und Nachlaßbetreuer: „Wir haben versucht eine einstweilige Verfügung zu erreichen, die die Ausstellung verbietet. Die Landesbibliothek, der man Alma Rogges Nachlaß zur wissenschaftlichen Arbeit überlassen hatte, ist geplündert worden. Dort hat man Originale herausgegeben, die nun den sicheren Austellungsort im Kernkraftwerk rechtfertigen sollen. Lächerlich!“ Die Unternehmung, beim KKU einen Verantwortlichen zu finden, erwies sich nach fünffachem Versuch als fruchtlos. Vermutlich befinden sich die entscheidenden Herren gerade auf einem VHS–Niederdeutschkursus. Schließlich ist noch unklar, wie Plutoniumbrennstäbe oder Halbwertzeiten wohl auf Platt heißen. Die Motive jedoch für diese Übergriffe und vor allen Dingen für die Selbstverständlichkeit mit der dies geschieht, liegen tiefer und sie haben in diesen Landen Tradition.
Auch der Umarmungsversuch des KKU, reiht sich ein in eine Kette von mehr oder weniger gelungenen Inanspruchnahmen, der sich besonders niederdeutsche AutorInnen ausgesetzt sehen. Ihren Höhepunkt hatte diese vereinnahmende Geste aber im Nationalsozialismus, als die niederdeutsche Bewegung in der unsäglichen Ikonisierung des arischen Menschen aufging.
Als Alma Rogge 1894 in der Wesermarsch geboren wird, spricht man um sie herum nur eine Sprache, Plattdeutsch. Die Eltern sind Bauern, bewirtschaften einen großen Hof und haben für ihre Tochter wahrscheinlich folgenden weiteren Verlauf der Handlung vorgesehen: Besuch der Volksschule im Heimatort und weitere sechs Jahren in der „Höhere Bürgerschule“. Dann Rückkehr in den Schoß der Familie und Heirat mit einer standesgemäßen Partie, einem anderen Großbauern etwa, und des weiteren das rundum ausgefüllte Leben einer Bauersfrau. Alma Rogge ändert den Plan radikal. Sie studiert. Sie promoviert. Sie wird Dichterin. Und sie heiratet nie. Stattdessen lebt sie mit ihrer Freundin Hanna Wisser. Ein Tatbestand, der bis heute gern verschwiegen wird, paßt er doch nicht ins gängige Bild der biederen niederdeutschen Autorin.
Durch die Freundschaft zu Hanna Wisser erhält Alma Rogge 1911 Zugang zu deren Elternhaus, lernt den Vater kennen. Den "Märchen-Professor“ nennen die Leute Wilhelm Wisser.
Er reist durch's Land und schreibt die Geschichten auf, die die Leute erzählen und konserviert so auch die niederdeutsche Mundart.Anfang des Jahrhunderts steht er damit nicht mehr allein da. Eine romantische oder auch soziale Beziehung zur Landschaft und Landbevölkerung hat sich formiert. Gespeist aus Technikfeindschaft und Naturverbundenheit entwickelt sich der Heimatschutzgedanken.
Autoren wie Fritz Reuter und Klaus Groth, so unterschiedlich ihre Interessen auch sein mögen stehen am Ursprung der Renaissance der Niederdeutschen.
Dr. Ulf-Thomas Lesle vom Institut für Niederdeutsche Sprache Bremen erläutert den weiteren Gang der Entwicklung: „Mehr und mehr nimmt die konservative, rückwärtsgewandte und zum Teil an Nietzsche orientierte Denkbewegung des Kulturpessimismus zu. In den 20er Jahren hat die niederdeutsche Bewegung den Stand der Unschuld verloren und ist Teil des völkischen Aufbruchs, auch wenn sie dann später herbe enttäuscht ist von der nationalsozialistischen Kulturpolitik.“
In dieser Zeit versuchte Alma Rogge als Autorin Fuß zu fassen.
Während des Studiums, das sie 1926 mit einer Doktorarbeit beendet, hatte sie das Schreiben nie vernachlässigt. Zwischendurch nutzt sie auch als Studentin jede Chance den weiblichen Rollenerwartungen zu entfliehen. In Hamburger Bars lernt sie nach den Worten ihres Kollegen Waldemar Augustiny die „charakterbildenden Eigenschaften“ des Rumgenusses zu schätzen.
Auf erste Bühnenwerke folgen Lustspiele, Erzählungen und Gedichte - auf Platt. Mehrfach hat Alma Rogge erklärt, daß sie am Plattdeutschen das Knappe und Bildhafte der Sprache schätze. Vieles lasse sich in den einfachen Worten und der Satzmelodie der Mundart besser ausdrücken. Nach dem Studium findet sie eine Anstellung beim Bremer Verlag Schünemann, wo sie die Monatszeitschrift „Niedersachsen“ in den Jahren 1927- 32, 1941-44 und dann noch einmal 1949-68 herausgibt.
In dieser Position ist es unausweichlich, daß Nationalsozialisten den berühmten Schulterschluß suchen, die politische Gleichschaltung auch dieser Kulturzeitschrift anstreben. Andere niederdeutsche Autoren haben da nicht widerstanden. Einer der prominentesten ist August Hinrichs, der sein Stück „De Stedinge“ vom Aufstand der niederdeutschen Bauern und deren Kampfesmut in der Freiluftbühne Bookholzberg zum großen NSDAP- Parteispektakel ausbauen läßt. Niederdeutsche Bühnenkunst für die HJ der Region.
Dieter Ehlers, der die Künstlerin vor ihrem Tode 1969 noch lange Jahre kannte, schreibt zur Zeit an einem Aufsatz „Alma Rogge und der Nationalsozialismus“ und hat Alma Rogges Nachlaß neu gelesen. 30 Briefstellen an die Freundin Hanna Wisser-Thiemig bewiesen Rogges Ablehnung des Naziregimes. Ehlers: „Es ergibt sich ganz klar, sie war dagegen.“ Allerdings räumt er ein „Man weiß nicht recht wie weit das ging, schließlich war diese Generation von einer erschreckenden Lauheit in politischen Dingen. Abends empört und morgens schon wieder vergessen.“
Ihre bescheiden daherkommenden Erzählungen und Anekdoten, die von den menschlichen Gefühlen handeln, erwecken den Eindruck einer Unpolitischen, geben kaum Aufschluß über die politische Haltung der Autorin. Aber ZeitzeugInnen, wie die Schriftstellerin Wilhelmine Siefkens, die selbst politisch unliebsam geworden war berichtet: „Ich rechne es ihr hoch an, daß sie mich weiter um Texte bittet, mich Verfemte besucht.“
Das war vor 60 Jahren. Heute zu ihrem 100. Geburtstag gehen Freunde und Nachlaßverwalter auf die Barrikaden. Was sie verhindern wollen, durch den Protest gegen die Austellung im KKU, ist die Eingemeindung einer regionalen Autorin in regionale Interessen. Daß dem gerade niederdeutsche AutorInnen wieder und wieder ausgesetzt sind, ist erklärlich. Der Schaden, der durch diese schamlose Umarmung angerichtet wird, ist dennoch nicht geringzuschätzen, denn für die KünstlerInnen ist nichs fataler als die Verbiederung - postum.
Susanne Raubold
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen