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In den Ruinen des Weltdorfs Hölle

■ Sommertheater: Reza Abdohs zynisch-analytisches Werk „Quotations From A Ruined City“

Stacheldraht trennt Publikum und Bühne. Ein niedliches weißes Gartenzäunchen umschließt zu den anderen Seiten den vorderen Bühnenraum, der mal Blumengärtchen, Gottesacker, Schlachtfeld, Lager oder Lämmerwiese ist. Dahinter erhebt sich eine Pyramide aus weißen Kästen wie das Monument einer Supermarkt-Dekoration. Im Vordergrund projizieren rechts und links zwei Monitore die Gesichter der beiden „Kommentatoren“, die im Bühnenhintergrund von zerstörten Städten, von der Angst vor Alter und Ruin zu sprechen beginnen.

Im sich langsam erhellenden Bühnenlicht regen sich am Boden liegende Mumien, Tänzer in Bandage-Bodies und grau oder blaß geschminkten Gesichtern. Sie ringen lautstark und schmerzhaft nach Luft – da löst sich das Bild in einem lustigen Tänzchen zu metallischen Trommelrhythmen.

Selten kippt die Bitterkeit des Amerikaners Reza Abdoh in solch makabere Momente beschwerter Heiterkeit um. Der Regisseur iranischer Herkunft und sein Ensemble Dar A Luz, in Hamburg noch vom letztjährigen Gastspiel mit Law Of Remains beim Sommertheater im Gedächtnis, fokussiert in Quotations From A Ruined City (Zitate aus einer zerstörten Stadt) seine Visionen der Zerstörung und des Krieges in den Städten Sarajevo, Beirut und Los Angeles.

Videoaufnahmen der kriegerischen Gewalt flackern neben dem Bühnengeschehen über die Monitore, die beiden Kommentatoren verlassen ihre sicheren Boxen, treiben Scherze mit gequälten Gestalten. Ein harmloses Spielchen, dem anderen den Hut wegzuziehen, wird alsbald zum Spiel der Verstümmelung, und man reißt sich – hast-du-nicht-gesehen – spaßeshalber Nase oder Skalp vom Kopf.

Die Kommentatoren – pyknisch und apathisch der eine, hager, sensationslüstern und zynisch der andere – verfolgen mal in traditioneller puritanischer Tracht mit Talar und Halskrause, dann als smarte Beerdigungsunternehmer oder Börsenmakler den Lauf der Geschichten, die – in Variationen zwar – doch immer wieder von neuem beginnen.

Mit dem Beil in der Hand empört sich eine Krankenschwester über „serbische Tschetnicks“, die lügen, töten, vergewaltigen. Als eine Stimme aus dem Off rauh und schwer „Sarajevo“ benennt, steht die Lebensretterin schmatzend mit einer Banane in der Hand da, im Gärtchen aufgereihte Holzlämmer sehen ins Publikum, während Pykniker und Zyniker minutiös die Folterung eines Moslems namens „Mustafa“ schildern.

Die schöne neue mediale Welt, die die Schrecken „bildgetreu“ ins Wohnzimmer sendet, ist nicht mehr fähig, uns zu erschrecken. Abdoh, der für Quotations erstmals mit seinem Bruder Sadeh zusammenarbeitete, verknüpft Texte, Bilder, Bühne, Tanz und Musik zu einem multimedialen Alptraum mit historischen, internationalen und persönlichen Dimensionen, der, wie die amerikanische Zeitschrift Voice schrieb, „Zeugen, nicht Zuschauer“ will. Einer vermeintlich allwissenden Gleichgültigkeit wird ein Bombardement visueller Reize entgegengeschleudert, das Weltdorf wird zur Hölle. Am Ende aber, nach einem letzten Totentänzchen, sinken sich doch noch zwei Totgeweihte zärtlich in die Arme.

Julia Kossmann

noch heute, 19.30 Uhr, Halle 2

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