: Buchenwald
■ Betr.: „Bannmeile ums KZ?“, taz vom 27.7.94
Schändungen von jüdischen Friedhöfen, Synagogen und nicht zuletzt Gedenkstätten sind nicht neu und bereits seit den Siebzigern zu beobachten. Welches Tabu, glauben Sie, sollte damit verletzt werden und welcher Grundkonsens in der Bundesrepublik?
Glauben Sie allen Ernstes, eine Bundesregierung, die 1985 Bitburg veranstaltete beziehungsweise Antisemiten in den eigenen Reihen duldet, könnte „da, wo sie am empfindlichsten ist: an den Orten der Erinnerung (...)“ getroffen werden? Als zu Beginn der Achtziger das Graffiti der Hausbesetzer auftauchte: „Scheiben klirren und ihr schreit, Menschen sterben und ihr schweigt“, schien mir der Sachverhalt der Tabuverletzung, nämlich Angriff auf die Konsumtempel am Kudamm, eher zuzutreffen. Die Reaktion der Exekutive sah dementsprechend aus: Verhaftung, U-Haft, Verurteilung, Knast. Sind Sie wirklich so naiv, zu glauben, Rechtsradikalen ginge es um Tabuverletzung oder die „Verlogenheit“ der Politiker? Im übrigen finde ich es infam, Romani Roses Vorschlag mit den Sondergenehmigungen der Gestapo gleichzusetzen. [...] Wolfgang Kuhn, Berlin
Dieser Kommentar ist skandalös, und ebenso skandalös ist die Tatsache, daß die taz ihn abgedruckt hat.
Ich fasse zusammen: Bei dem Besuch der Skinband „Oithanasie“ in der Gedenkstätte/dem ehemaligen KZ Buchenwald handelt es sich um einen Dialogversuch zwischen den von Frau Kugler so liebevoll titulierten „rechtsradikalen Jungs“ und den Regierenden Deutschlands. Die „rechtsradikalen Jungs“ teilen durch „Tabuverletzungen an den Orten der Erinnerung...“ ihren Protest gegen die Verlogenheit der Gesellschaft, der Regierenden und der Presse und den Wunsch nach einer „anderen Gesellschaft“ mit. (Eine ehrlichere Gesellschaft? Hier wie an anderen Stellen ihres Kommentars zieht Frau Kugler es vor, den Leser möglichst im unklaren zu lassen. Ich erlaube mir, von den Angrifen auf Minderheiten, Flüchtlingsunterkünfte und jüdische Einrichtungen auf den Charakter dieser „anderen Gesellschaft“ zu schließen.) Die „rechtsradikalen Jungs“ müssen zu solchen Mitteln wie der Schändung von Gedenkstätten und jüdischen Einrichtungen greifen, weil die Regierenden ihnen einfach nicht zuhören und nicht reagieren, wenn sie „Afrikaner und Vietnamesen“ blutig schlagen. Eine Jugendrevolte also.
Sicher gibt es so etwas wie einen „Dialog“ zwischen Rechtsradikalen, „der“ Gesellschaft und ihren Repräsentanten. So haben die „rechtsradikalen Jungs“ sicher die Botschaft des Jahrestages des 20. Juli 1944 gehört. In einer Bundesrepublik, die sich bei der historischen Legitimierung und nationalen Identitätssuche ausgerechnet ausschließlich auf den Teil des Widerstands beruft, der keineswegs „für Menschenwürde und Freiheit, für Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit“ eintrat (Bundeskanzler Kohl am 20.7.94), kann es für „rechtsradikale Jungs“ nicht so schlimm sein. In dem „Wofür liegt das Vermächtnis“ – wie der Bundeskanzler sagte.
Abgesehen von der Geschmacklosigkeit, die lebenden Ausländer gegen die meist toten Juden auszuspielen, entspricht es einfach nicht den Tatsachen, daß die „Orte der Erinnerung“ quasi die Achillessehne der Regierenden in diesem Land sind. Das Interesse an Fremden und Juden – zum Teil synonym zu verwenden – ist nicht genuin, sondern durch Besorgnis über mögliche Reaktionen aus dem Ausland diktiert, und das seit 1945. Wenn die Regierenden sich wirklich getroffen fühlten, würden sie konsequent handeln.
Ich habe mich als Tochter eines Überlebenden von Buchenwald durch die Schändung der Gedenkstätte sehr wohl direkt gemeint und getroffen gefühlt, und ein weiteres Mal durch Ihre völlige Verkennung beziehungsweise Verklärung der Motive der „rechtsradikalen Jungs“ – ob in Beziehung zu einem Programm oder nicht ist unerheblich, solange immer Fremde, Homosexuelle, Behinderte und Juden angegriffen werden.
Anita Kugler auf der Seite der Verharmloser ist mehr als erschreckend. Aber sie verharmlost nicht nur, sie erklärt die „rechtsradikalen Jungs“ zu Vorreitern der auch von ihr angestrebten Enttabuisierung, hier der Gedenkstätten, „deren Geschichte selbstverständlicher Teil des deutschen Erbes ist“. Tabus brechen scheint ein Wert an sich geworden zu sein, abgesehen von der Frage, welche Tabus hier eigentlich gebrochen werden. Sind die Leute bis jetzt nicht „zwischen Eisessen und Diskothek“ in die Gedenkstätte gegangen? Nach dem bis jetzt Geschriebenen habe ich den Verdacht, daß unter Akzeptanz Normalisierung, Schlußstrichziehen, Einebnen gemeint ist – eine offene Wunde scheint die Geschichte eh nur für die Opfer, ihre Angehörigen und Nachkommen zu sein –, so daß dieser Teil der deutschen Geschichte mühelos „zwischen Eisessen und Diskothek“ konsumiert werden kann und, wenn er schon nicht geleugnet werden kann, wenigstens bei der nationalen Identitätsbildung nicht mehr stört. Jael Geis-Norman, Berlin
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