: Einwanderer als Verlierer
Der deutsche Arbeitsmarkt ist nach wie vor entlang ethnischer Linien gespalten / Es drohen weitere Entlassungen ausländischer ArbeitnehmerInnen ■ Von Nihat Öztürk
Arbeit und Einkommen werden auf dem Arbeitsmarkt nach nationaler Zugehörigkeit ungleich verteilt. Eingewanderte Arbeitnehmer bilden die unterste Schicht der Arbeitsmärkte. Auch ihre klassische Rolle, „Hebel im Aufschwung“ und „Puffer in der Krise“ zu sein, hat sich nicht geändert. Die Statistik der Bundesanstalt für Arbeit weist seit Mitte der 70er Jahre Monat für Monat eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquote unter Einwanderern auf. Im Moment ist sie doppelt so hoch wie die allgemeine. Besonders drastisch ist die Arbeitslosigkeit unter Arbeitnehmern aus der Türkei, aus Italien und Griechenland: Jeder sechste Türke und Italiener ist zur Zeit ohne Arbeit.
Nicht viel besser ist die Lage junger AusländerInnen. Zwar erreichen immer mehr bundesdeutsche Schulabschlüsse und finden Stellen im dualen Ausbildungssystem. Doch der Abstand zu ihren deutschen Gleichaltrigen ist keineswegs kleiner geworden. Während 70 Prozent der deutschen Jugendlichen beruflich ausgebildet werden, finden nur 35,5 Prozent der ausländischen einen Ausbildungsplatz. Trotz allem Gerede von „wirtschaftlicher Erholung“ und Aufschwung ist das aktuelle Beschäftigungsrisiko der Einwanderer größer, als von Experten wahrgenommen wird.
Bis traditionelle Branchen wie Bergbau, Werften, Stahl und Textil wegbrechen, ist es nur noch eine Frage der Zeit. Mit dem Niedergang dieser Branchen werden viele Tausende Einwanderer ihre Arbeitsplätze verlieren und ganze Arbeiterkolonien untergehen. Zudem geht die Verlagerung von „einfachen“ Tätigkeiten ins Ausland weiter. Mit dem Verlust dieser Arbeitsplätze werden viele Einwanderer in die Arbeitslosigkeit entlassen. Und schließlich treffen die neuen Produktionskonzepte die nichtdeutschen Arbeiter am härtesten.
Zum Nachteil der eingewanderten Arbeitskräfte wird sich vor allem die prophezeite Berufsstruktur des kommenden Jahrzehnts erweisen. Nach Prognosen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung werden die Arbeitsplätze für Un- und Angelernte bis zum Jahr 2010 um gut die Hälfte sinken. Wenn eine Qualifizierungsoffensive für ausländische Arbeitnehmer nicht jetzt gestartet wird, werden Einwanderer erneut die Hauptverlierer des Strukturwandels sein.
Weiter stabilisieren wird sich der entlang ethnischer Linien gespaltene Arbeitsmarkt. Die relativ sicheren, qualifizierten und gutbezahlten Arbeitsplätze des Kernsektors werden Deutschen reserviert bleiben, während Ausländer in die unsicheren und schlecht bezahlten Arbeitsplätze des industriellen und tertiären Randsektors abgeschoben werden.
Angesichts dieser Lage wird die Politik künftig von zwei Seiten mit Forderungen konfrontiert werden: Da ist zum einen die junge Einwanderergeneration. Sie wird eine tatsächliche – und nicht nur formale – Gleichstellung und Chancengleichheit einklagen und Ansprüche anmelden. Von dieser Seite ist mit massivem Widerstand zu rechnen, sollte die ethnische Zweiteilung des Arbeitsmarktes weiterhin Merkmal der deutschen Ökonomie bleiben. Zum anderen dürfte die rechts-populistische Forderung nach Re-Germanisierung des Arbeitsmarktes lauter werden.
Es ist zu befürchten, daß die Politik an den klassischen, in den 60er Jahren entwickelten Instrumenten der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis festhält und den Arbeitsmarkt zu steuern versucht – begleitet von den üblichen Mißbrauchskampagnen, die aus der Mottenkiste hervorgeholt werden, sobald Verteilungskämpfe zunehmen.
Damit kann zwar die Loyalität der deutschen Arbeiter für eine Weile gesichert werden. Die soziale Ungleichheit wird jedoch weiter zementiert. Mit dieser Methode löst man soziale Konflikte nicht, man sitzt sie lediglich aus. „Aussitzen“, das hat die Vergangenheit gezeigt, kann auch ein Erfolgskonzept sein. Es fragt sich nur, für wen.
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