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■ Deutschland anonym„Ich predige nicht im schwarzen Gewand“

Wie ist es für einen Pfarrer, in einer Metropole seine Schäfchen zusammenzuhalten?

Für mich ist es einfacher geworden mit den Jahren.

Viele Ihrer Kollegen klagen aber darüber, daß immer weniger Menschen in die Kirche gehen.

Bei mir sind es nicht weniger als früher.

Wie viele Leute kommen in Ihre Gottesdienste?

Im Durchschnitt am Sonntag 63 Besucher.

Sie zählen aber genau.

Unser Organist zählt jeden Sonntag. Offiziell gibt es in der protestantischen Kirche allerdings nur zwei „Zählsonntage“ im Jahr.

63 im Schnitt ist viel für eine so kleine Gemeinde.

Zu mir kommen auch viele Besucher von anderen Gemeinden. Auch Taufen, Beerdigungen, Hochzeiten mache ich öfters für Mitglieder, die nicht aus meiner Gemeinde sind.

Was machen Sie besser als andere?

Ich denke, ich treffe einfach den richtigen Ton. Man muß die Leute aufmuntern, nicht mit der Hölle drohen. Ich predige zum Beispiel nicht im schwarzen, sondern im weißen Gewand, mit einer farbigen Stola. Das mußte ich mit dem Superintendenten eigens absprechen. Meine Amtshandlungen zelebriere ich regelrecht.

Zum Beispiel?

Die Taufe. Der Täufling bekommt eine Taufkerze geschenkt, die von der Frau eines unseres Kirchenältesten wunderschön mit Symbolen verziert wurde. Die Taufkerze wird von einem Kind überreicht mit den Worten: „Ich bringe dir Licht und Wärme.“ Außerdem habe ich ein besonderes Tauflied eingeführt. Nachdem das Kind geEr ist Pfarrer, 53 Jahre alt, und predigt seinen Schäfchen schon seit 18 Jahren die Moral. Seine kleine Gemeinde in Berlin umfaßt 1.800 Mitglieder – pro Kopf hat er den höchsten Kollekten- Eingang von allen 19 Gemeinden in seinem Stadtbezirk.

tauft worden ist, bitte ich die Angehörigen, die Hand mit mir sanft auf das Kindlein zu legen. Dann sage ich meistens: „Ich wünsche dir, daß Gott zu dir ist wie die Sonne, die dich wärmt, wie das Brot, das du ißt, wie die Blumen, die dir gefallen ...“

Das haben Sie sich selber ausgedacht?

Das kommt von selbst. Ich mach' das nicht so sehr liturgisch.

Aber Sie singen mit.

Natürlich. Ich singe zwar manchmal fast alleine ...

Muß man das üben, das Singen, in der Ausbildung?

Wissen Sie, die Ausbildung als Pfarrer ist eine reine Ausbildung in Schriftauslegung. Man muß sich das mal vorstellen: es gibt bis heute keine Rhetorik-Schulung! Sie haben die vorgegebenen Abschnitte aus der Bibel, alles andere müssen Sie entwickeln.

Was Ihnen offenbar gut gelungen ist.

Ich habe Phantasie. Ich lege auch in jedem Gottesdienst eine Schweigezeit ein. Dann sage ich: „Wir wollen jetzt alles, was uns bedrückt, hier auf den Altar abladen und schweigen.“

Klingt wie Therapie.

In der Schweiz gab es mal einen Pfarrer, der auf sehr individuelle Weise im Fernsehen predigte. Einmal nahm er einen Marmorblock, legte ihn auf den Tisch, schlug mit Hammer und Meißel drauf und sagte: So fühlt man sich doch öfters – angeschlagen. Der hatte Einfälle.

Fühlen Sie sich nicht manchmal allein, so als Pfarrer inmitten einer Großstadtgemeinde?

Da nehme ich es wie der Komponist Joseph Haydn, der sagte: Weil ich allein war, mußte ich eigen werden. Interview: Barbara Dribbusch

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