: Vor genau 250 Jahren erteilte der Alte Fritz die Order zum Bau von Potsdam Sanssouci. Heute muß sich der kuschelige Park gegen den politischen Mißbrauch wehren. Von Rolf Lautenschläger und Bettina Müller
Schlößchen für Pantoffelhelden
Auch zum 250. Geburtstag schlurfen sie respektlos in grauen Filzpantoffeln über den Marmorfußboden des Sommerschlößchens. Vom ovalen Marmorsaal geht es in das einstige Bilderkabinett, vom Musikzimmer, in dem der kleine König Flöte spielte, über das Schlafgemach bis zur Bibliothek – und wieder zurück. Hier faßt einer an die Brust der steinernen Göttin, dort kratzt ein anderer am Interieur des preußischen Rokoko. Als der Rundführer intoniert: „Hier starb Friedrich der Große 1786“, raunzt einer: „Wenn ich jetzt kein Bier krieg', fall' ich tot um.“
Es ist kein nationales Defilee, das sich durch die 12-Zimmer- Wohnung des Alten Fritz schiebt. Es ist Alltag in Sanssouci. Von morgens um 9 Uhr bis abends 17 Uhr trampeln die Kinder der Freizeitkultur durch die Eremitage wie am Fließband: laut, schrill und bunt. Alle zwanzig Minuten vierzig Personen. Die friederizianische Grenzlinie wird seit 1993 beim 1.800sten Besucher gezogen. Mehr lassen die Denkmalpfleger pro Tag nicht auf den teuren Fußboden. Dennoch schaffen es rund 420.000 Touristen im Jahr und verschleißen dabei 300 Pantoffeln.
Den Wächtern von Sanssouci tut es in der Seele weh, wenn ungeniert Kunstwerke mit den Füßen poliert werden. „Man läuft ja auch nicht über die Sixtinische Madonna“, meint Hans-Joachim Giersberg, Generaldirektor der Stiftung Schlösser und Gärten Potsdam Sanssouci. Sein Pressesprecher Gert Streidt legt nach: Die Platten würden zerschlissen, Schweiß dringe als Feuchte hinter die Wände. „Da wird ein Kunstwerk abgenutzt.“
250 Jahre nach Baubeginn 1744 wird Sanssouci, der philosophische Fluchtort des Alten Fritz, durch die touristischen Massen entmythologisiert. Viele, wie Giersberg, mögen das bedauern – Sanssouci schadet es wenig, eher gewinnt das wunderbare Örtchen in Potsdam hinzu. Zwischen dem künstlichen Ruinenberg und dem zwei Kilometer entfernten Neuen Palais wird alles – „Hedwig, stell dich doch mal da rüber“ – auf Video gebannt. Locker baumeln staubige Beine in den Brunnen. Und es ist nur eine Frage der Zeit, daß Grilldämpfe über das preußische Gesamtkunstwerk ziehen – sorglos.
Es ist kein Geheimnis, daß die heute wie damals empfundene Sorglosigkeit, das Spielerische und Leichte der Schloß- und Gartenanlagen von Sanssouci auf einer Inszenierung des Privaten beruht. Nicht mehr die repräsentativen Stadtschlösser bildeten am Beginn des 18. Jahrhunderts die Identifikationsobjekte der Fürsten, sondern die Residenzen draußen vor den Toren der Stadt, inmitten einer künstlich gewandelten Natur. Versailles, das Schloß Schönbronn bei Wien oder der Escorial bei Madrid sind Zeugen dieser Arkadien- Sehnsucht. Der kleine Fritz und Sanssouci hingegen sind Ausdruck einer „ganz unpreußischen Wurstigkeit“, wie Karl Anton Vororth über den Bauherrn Friedrich schreibt. Deshalb sei Sanssouci auch „als Gesamtkunstwerk so gelungen“.
Die Sache lief so en passant, zwischen großen Feldzügen, mit denen der Alte Fritz ganz Europa in Angst und Schrecken versetzte. Stadtmüde speiste er im Juni 1744 auf einem hohen Markflecken, der ihm gefiel. Am 10. August erging die Kabinettsordre, „am Wüsten Berg“ Terrassen für Weintrauben, Feigen und Orangenbäumchen anzulegen. Beaufsichtigen konnte der Bauherr die schnell fortschreitenden Arbeiten nicht, hatte er doch den Zweiten Schlesischen Krieg angezettelt. Der Bau des Schlößchens ging chaotisch vonstatten. Fritz zeichnete krakelig: eine Mischung aus Schloß Rheinsberg und Orangerie. Als die Grundmauern hochgezogen waren, war er wieder nicht zur Stelle; nach seiner Rückkehr ließ er alles niederreißen und schickte die Baumeister nach Hause. Pfusch am Bau und Sparsamkeit am falschen Platze – Sanssouci kostete 283.900 Taler – rächen sich. Der Dilettant Friedrich hatte seinen Baumeistern Knobelsdorff und Dietrich untersagt, das kleine Häuschen zu unterkellern. Dafür quälte ihn der feuchte Fußboden mit der Gicht. Bis heute ist es Architekten ein Grauen, daß das Schloß am Fuße der Terrassen im Baugrund versinkt. Friedrich hatte einen Sockel abgelehnt und für das gesamte Gebäude geschoßhohe Fenstertüren angeordnet, um ungehindert auf die Terrasse treten zu können. „Schlechter Stil“ bei dem allegorischen Programm, das aus fetten Weingöttern besteht, warf ihm später noch Karl Friedrich Schinkel hinterher. Vielleicht nehmen wir darum Sanssouci, das „maison de plaisance“, den „Wohnsitz eines einfachen Bürgers“, wie Johanna Schopenhauer schrieb, so leicht, so sorglos in Besitz.
Doch der Mythos vom Alten Fritz und seinem Kunst- und Flötenrefugium ist nicht totzukriegen. Darum droht wirkliche Landnahme dem von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärten „Lustort“ von Politikern und Investoren. Nicht nur Helmut Kohl belebte bei der Umtopfung Friedrichs 1991 die Seelenwanderungen zurück zu den alten Geistern preußischer Untugenden. Für die „aufgesetzte Traditionspflege, aus der ein verquerer deutscher Nationalismus“ entsteigen könnte, wie der Historiker Hans Mommsen meint, stehen auch die „Wieder-Inbesitznahmen“ durch die Bundeswehr, den Kaiser-Enkel Louis Ferdinand und ganze Heerscharen von Burschenschaftlern. Das friederizianische Symbol hat dabei schöngeistig Mummenschanz vor dem reaktionären „Geist von Potsdam“ zu spielen, um die ungeliebten Seiten deutscher Geschichte zu verdrängen – wenn nicht gar zu glorifizieren. „Gerade in der Nachwendezeit mußten wir uns heftig gegen die Repräsentationsbedürfnisse von Parteien und Politikern zur Wehr setzen“, erinnert Streidt.
Die Konflikte, die Sanssouci heute immer mehr aushalten muß, entstehen durch Ansprüche, die Investoren sowie die Landeshauptstadt Potsdam an die Schlösserverwaltung herantragen. Kunst und Kommerz, Denkmalpflege und Stadtentwicklung scheinen schwer unter einen Hut zu passen. Dabei ist es nur grotesk, wenn Banken ihre Sitzungen im Kabinett des Alten Fritz abzuhalten suchten, um preußische Sparsamkeit zu symbolisieren, oder Tabakfabrikanten mit Freunden im Pfeifenkollegium Corporate identity im Preußen-Qualm finden wollten. Viel gefährlicher für Sanssouci aber ist die Entwicklung Potsdams.
Die Landeshauptstadt mit den Ambitionen, von der Idylle ins 21. Jahrhundert zu springen, trommelt nicht nur mit im Dunstkreis für den Wiederaufbau des Potsdamer Stadtschlosses und der Garnisonskirche. Im Aufbaufieber gedenkt die Stadtplanung vielmehr, die Denkmäler von Potsdam Sanssouci zu Kulissen neuer Quartiere und Bürozentren zu degradieren. Zum Preußen-Disney in Nachbarschaft kühler Glasfassaden wäre es dann nur ein kleiner Schritt. „Die gegenwärtigen Planungen bedrohen den Übergang des Parks Sanssouci in die freie Landschaft im Westen und im Norden“, fürchtet Gartendirektor Michael Seiler. Als „Kriegserklärung an die traditionsreiche Kulturlandschaft“ wurde von den Denkmalpflegern bereits die Bebauung des Glienicker Horns empfunden, wo die historische Sichtachse des Weltkulturerbes mit 250 Eigentumswohnungen zubetoniert wurde. „Aus denkmalpflegerischer Sicht“, erinnert Streidt, „war das eine Katastrophe – vielleicht eine lehrreiche.“ Es zeichne sich nun ab, daß sich im Vorfeld geplanter Bauvorhaben Denkmalschützer und Stadtentwickler zusammensetzen. „Sonst verliert Potsdam sein Gesicht“, sagt Streidt. Und mit ihm seine Geschichte, Normalität und Lebendigkeit.
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