: Haus mit Beethoven wieder besetzt
■ Nach erfolglosen Verhandlungen zogen obdachlose BewohnerInnen in das geräumte Haus in der Fehrbelliner Straße
Gestern um 10 Uhr war es so weit: Zu den Klängen von Ludwig van Beethovens 5. Symphonie begannen die ehemaligen BewohnerInnen des Hauses Fehrbelliner Straße 5 mit der Inbesitznahme des vor vierzehn Tagen geräumten und seitdem leerstehenden Mietshauses.
Unter den Augen zahlreicher Fotografen und Fernsehteams waren binnen weniger Minuten die von britischen Anti-Vandalismus- Spezialisten montierten Sicherheitstüren beseitigt. „Symbole der Effizienz“, höhnten die Besetzer, als sie die tresorartigen Türen, die eine Neubesetzung verhindern sollten, einfach aus den Türangeln hoben.
Jeanette Martins und Siegfried Zoels, beide Abgeordnete von der Fraktion Bündnis Prenzlauer Berg, erklärten sich mit den BesetzerInnen solidarisch und verteilten eine Presseerklärung zum Wohnungsleerstand im Prenzlauer Berg und zur polizeilichen Räumung sanierungsbedürftiger Häuser im Bezirk. In der Presserklärung kritisieren sie die senatseigene Wohnungsbaugesellschaft im Prenzlauer Berg (W.i.P.) dahingehend, daß diese ganz offensichtlich ihrer sozialen Verantwortung nicht mehr gerecht werde und darüberhinaus den sozialen Frieden gefährde.
Noch am vergangenen Mittwoch hatte es Verhandlungen am eigens einberufenen Runden Tisch gegeben, an dem neben den obdachlosen BewohnerInnen auch Senatsvertreter, der Bezirksbaustadtrat Matthias Klipp (Bündnis 90/ Die Grünen) und Vertreter der Wohnungsbaugesellschaft im Prenzlauer Berg (W.i.P.) teilgenommen hatten. Für die 13 obdachlosen Männer und Frauen, die unter dem Vorwand anstehender Sanierungsbaumaßnahmen im Auftrag der W.i.P. geräumt worden waren, hatte man dabei jedoch keine Lösung gefunden.
Diese hatten seit vierzehn Tagen auf der Straße campiert, um gegen die Räumung zu protestieren. Die Betroffenen verdächtigten die W.i.P., daß eine Sanierung des Hauses Fehrbelliner Straße überhaupt nicht beabsichtigt sei. Dieser Verdacht hatte sich am Runden Tisch dann auch erhärtet. Aufgrund ungeklärter Eigentumsverhältnisse des Hauses, so eine Sprecherin der landeseigenen W.i.P., könne man nicht mit der Sanierung beginnen.
Im Rahmen des Leerstandsbeseitigungsprogrammes hatte die W.i.P. Ende 1992 2,6 Millionen Mark vom Land Berlin erhalten, um das Haus komplett zu sanieren. Bis Ende 1993 hatte die Gesellschaft 48.000 Mark dafür ausgegeben, den bisherigen Mietern Umsetzwohnungen zuzuweisen. Zurückgeblieben waren zunächst nur die 13 Männer und Frauen, die ohne Mietverträge als Untermieter in dem Haus gelebt hatten und schließlich geräumt worden waren.
Das war insbesondere von Ralf Hirsch, einem am Runden Tisch teilnehmenden Vertreter der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, scharf gerügt worden. Es könne nicht angehen, daß durch ein Leerstandbeseitigungsprogramm Leerstand produziert werde.
Aufgeschreckt durch den Konflikt, trafen sich am Donnerstag die Geschäftsführer der W.I.P. sowie Politiker des Senats und der Bezirksverwaltung mit Mitgliedern der Investitionsbank Berlin zu Gesprächen. Im Anschluß begründete der Referatsleiter für Stadterneuerung bei der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen den Leerstand mit der „komplizierten rechtlichen Situation“, die eine Sanierung verhindere. Die Wohnungsbaugesellschaft trage keine Schuld, da sie nach eigenen Angaben erst vor vierzehn Tagen erfahren hatte, daß das Haus nicht dem Bundesvermögensamt, sondern Privateigentümern gehöre.
Den BesetzerInnen sind die Eigentumsverhältnisse inzwischen gleichgültig. Sie feiern die Rückkehr in ihre Wohnungen mit einer Riesenparty und freuen sich über die Zustimmung der Anwohner. Die PDS im Bezirk Prenzlauer Berg hat für die Fete sogar 100 Mark springen lassen. Peter Lerch
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