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„Der Feuerwehrmann hat keinen Bart“

Seit dem Amtsantritt des islamistischen Oberbürgermeisters in Istanbul vor vier Monaten hat es keine radikale Wende in der Kommunalpolitik gegeben – aber Attacken auf die Kunst  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Eine der ersten Handlungen des neuen Oberbürgermeisters von Ankara, Melih Gökcek, war es, öffentliche Denkmäler entfernen zu lassen. Die Denkmäler seien „pornographisch“, lautete die Begründung des Oberbürgermeisters, der Mitglied der islamistischen Wohlfahrtspartei und seit Ende März im Amt ist. Später wurde die Wortwahl des Oberbürgermeisters aggressiver: „Ich spucke auf solche Kunst“, gestand er in einer Fernsehdiskussion im Beisein des Künstlers Mehmet Aksoy, dessen Plastik – zwei nackte Menschen, die sich umarmen – von einer internationalen Jury ausgezeichnet worden war. Es gibt, klärte der Oberbürgermeister die Teilnehmer der Runde auf, zweierlei Kunst: „anständige und entartete“.

Ohne Hemmungen erklärte der Bürgermeister die Schriftstellerin Duygu Asena und den Talkshow- Moderator Cem Özer, die den Beschluß der Stadtverwaltung kritisiert hatten, zu Zielscheiben des Zornes der Massen: „Sie sollen in Spucke ertrinken“, rief er und: „das Volk hungert, während die Gelder für Plastiken verpulvert werden“.

Angst und Entsetzen waren die ersten Reaktionen unter der liberalen Intelligenz nach den Wahlerfolgen der Islamisten. Deren Wohlfahrtspartei war zur drittstärksten politischen Gruppierung im Land geworden. Daß sie selbst in der Hauptstadt Ankara und in der 12-Millionen-Metropole Istanbul den Oberbürgermeister stellte, war dann ein weiterer Schock. Bis heute, vier Monate nach dessen Amtsantritt, kann von einer radikalen Wende in der Kommunalpolitik jedoch keine Rede sein – trotz der kunstverachtenden Tiraden Gökceks und aller Versuche der gottesfrommen Parteimänner, den kritischen Kulturbetrieb der Kommunen auszutrocknen.

In der zentralistisch regierten Türkei fällt ohnehin vieles nicht in die Zuständigkeit der Kommunen. Das Erziehungssystem zum Beispiel wird stramm von der Zentralregierung dirigiert. Am Stadtbild in den Großstädten hat sich merklich nichts geändert. Und die Befürchtung vieler, daß fortan in den städtischen Amtsstuben nur bärtige Männer und verschleierte Frauen hocken werden, hat sich nicht erfüllt. „Die Türkei ist nicht Algerien, und die Wohlfahrtspartei arbeitet rational und nicht dogmatisch“, erklärt der charismatische Führer der Wohlfahrtspartei, Necmettin Erbakan.

Behutsamkeit in der Vorgehensweise scheint eher ein Prinzip der islamistischen Stadtverwaltungen zu sein denn die Suche nach Konflikten. Als Mann des Ausgleiches präsentiert sich der neue Oberbürgermeister von Istanbul, Tayyip Erdogan. Von seinen vier Sekretärinnen tun zwei mit, zwei ohne Kopftuch im Bürgermeisteramt ihren Dienst.

Einen Monat lang versuchte die Stadtverwaltung in dem Istanbuler Vergnügungsviertel Beyoglu Kneipen, die traditionell in den Sommermonaten ihre Tische und Stühle auf die Straße stellen, den Kampf anzusagen. Die Stadtverwaltung verpachtete den Gastronomiebetrieben keine Straßenflächen mehr. Das islamische Verbot von Alkoholgenuß war das Motiv. Es kam zu Massenprotesten. Trotz der Drohung, die Lizenzen zu entziehen, begannen Wirte illegalerweise die Tische hinauszustellen. Zum Schluß kapitulierte die Stadtverwaltung. Die Entscheidung sei ein „Versehen“ gewesen. Außerdem sei die Stadtverwaltung „Multikulturellem“ und der „Vielfalt“ aufgeschlossen. Auch dem Versprechen der neuen Machthaber im Istanbuler Rathaus, die Bordelle am Hafen von Karaköy zu schließen, folgte bislang kein Tatendrang.

Kommunen sind Stätten der Bereicherung. Der Tradition ihrer Vorgänger treu bleibend, haben die neuen Statverwaltungen eine Reihe von Parteigängern angestellt. Die Anstellung von vielen Mitgliedern und Sympathisanten der Wohlfahrtspartei bei der Istanbuler Feuerwehr führte zum Rücktritt des Feuerwehrchefs Abdurrahman Kilic. „Brände haben keine Ideologie“, klärte der Feuerwehrchef seinen Oberbürgermeister, der eine Reihe Parteigänger bei der Feuerwehr anstellte, auf. „Der Feuerwehrmann hat keinen Bart. Es ist gefährlich, weil die Sauerstoffmaske nicht richtig sitzen könnte und somit giftige Stoffe in die Atemwege gelangen könnten.“

Der Kulturbereich ist freilich auch in Istanbul am härtesten von den Maßnahmen der islamistischen Ideologen betroffen. „Warum werden keine nationalen Theaterstücke aufgeführt“, fragte sich Oberbürgermeister Erdogan. „Warum statt dessen immer Stücke, die ein Europäer oder ein Russe geschrieben hat?“ Doch anders als sein Kollege in Ankara vermeidet er den direkten Angriff auf die Kunst- und Kulturschaffenden.

Lieber schiebt er „ökonomische Rationalität“ vor. 600.000 Türkische Lira, umgerechnet 30 Mark koste jeder Besucher der städtischen Bühnen die Kommunen. Volksnah heißt es dann: „Dagegen warten einige unserer Bürger stundenlang in der Schlange, um billig Brot zu kaufen.“

Einst wurde Erdogan von einem Istanbuler Gericht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er ohne Baugenehmigung in einem Wasserschutzgebiet ein Haus bauen ließ. Doch nun ist er Herr über die Baupläne. Seinen größten Wunsch wird er deshalb trotz des Aufschreis von Stadtplanern und Architekten in seiner Amtszeit erfüllen können: die Gestaltung des Taksim-Platzes, auf dem in der Geschichte der türkischen Republik die größten Kundgebungen stattfanden, war stets auch politische Symbolik. Ein Denkmal versinnbildlicht die Gründung der laizistischen Republik. Daneben will Erdogan ein imposantes islamisches Kulturzentrum mit Moschee hinpflanzen.

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