■ Intelligentes Sparen, gibt es das? Beispiel Abwasser: Einmal Klarspülung, bitte!
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 5.8. 1994 im Abwassergebührenstreit hat deutlich gemacht: Die Stadtverwaltungen in Nordrhein-Westfalen haben seit fast einem Jahrzehnt „ihren“ Bürgern jährlich etwa 500 Millionen Mark zu Unrecht aus der Tasche gezogen. Man hatte immer noch Kanäle abgeschrieben, die schon siebzig bis hundert Jahre alt waren und hatte dafür fiktive „kalkulatorische Zinsen“ berechnet. In anderen Bundesländern gibt es ähnliche dunkle Stellen im kommunalen Finanzgebaren. Wir verbrauchen jeder und jede 140 Liter Trinkwasser am Tag und machen daraus stündlich Abwasser. Wieso haben wir uns nicht darum gekümmert, wie die Gebühr für diese tägliche Ration berechnet wurde? Wo wir doch sonst so genau auf die Preise achten, bei Benzin, Mieten, Unterhosen und bei den Karotten?
Das populistische Geschrei gegen zu hohe Steuern und Gebühren verkennt allerdings das Problem. Nicht vor allem deshalb, weil die Kommunen durch das Gerichtsurteil weniger Geld einnähmen und dann noch ein Stückchen ärmer würden. Mit der noch so drastischen Erhöhung oder Senkung gegenwärtiger Gebühren und Einnahmen ist die strukturelle Krise der Kommunen gar nicht zu beheben. Es geht nicht nur um die Menge des Geldes, sondern vor allem um eine andere Art des Einnehmens und eine andere Art des Ausgebens.
Bei den Abfall- und Abwassergebühren jedenfalls bewegen wir uns juristisch bisher noch in einer vordemokratischen, vormarktwirtschaftlichen Sphäre. Der Mieter ist kein Rechtssubjekt. Der Gebührenbescheid ergeht an den Vermieter. Der rechnet ihn in die Nebenkosten ein – ein Jahr später. Der Mieter bekommt den Bescheid weder zu sehen, noch kann er dagegen Widerspruch einlegen. Machen wir also zunächst folgendes: Jeder Haushalt bekommt einen Wasserzähler in die Wohnung. Dann kann man nicht nur nach Erhalt des Gebührenbescheids Widerspruch einlegen. Man kann auch zum eigenen Wasserverbrauch ein Verhältnis gewinnen. Und dann zur Abwechslung auch Wasser sparen.
Der nächste Schritt könnte darin bestehen, daß die Gebührensatzungen nicht mehr routinemäßig abgesegnet, sondern den Bürgern vor dem jährlichen Ratsbeschluß offengelegt werden. Die 300.000 allein in NRW, die in diesem Jahr Widerspruch eingelegt haben, haben offensichtlich Interesse an der Angelegenheit.
Die steigenden Abwassergebühren werden uns mit dem Argument verkauft, es gehe um den Umweltschutz. Aber unter diesem Deckmäntelchen wird auch viel umweltschädliches Zeug versteckt, das die Bürger zudem teuer zu stehen kommt. Nehmen wir ein Beispiel. Der Klärschlamm einer Millionenstadt am Rhein muß deshalb als Sondermüll so teuer entsorgt werden, weil er dioxinverseucht ist. Das Dioxin kommt aber aus dem Abwasser der Müllverbrennungsanlage eines großen Fahrzeugherstellers. Weil die Ratsmitglieder die Hosen voll haben – sowohl gegenüber der Firma als auch gegenüber den Bürgern –, decken sie das Problem zu. Sie schweigen und zahlen bzw. rechnen die Klärschlammentsorgungskosten in die Abwassergebühren ein.
Ein bißchen Mut, ein bißchen Demokratie – schon wäre die Sache billiger und wäre wirklich etwas für die Umwelt getan. Die Stadt könnte dem Fahrzeughersteller zum Beispiel eine Million Mark als einmalige Investitionshilfe für den Bau einer Abwasservorbehandlungsanlage bewilligen, meinetwegen aus den Abwassergebühren. Damit würde sie die jährlichen 12 Millionen Mark sparen, die für die Klärschlammentsorgung bisher draufgehen. Und wenn noch in weiteren wichtigen Betrieben auf diese Weise Vorbehandlungsanlagen eingerichtet werden – oder gar Prozeßtechnologien, die bisherige Schadstoffe wie Schwermetalle im Abwasser ganz vermeiden –, dann könnte der Klärschlamm zu dem werden, was er eigentlich ist: wertvoller Dünger. Der könnte dann erstens in der Landwirtschaft wieder verwendet werden, und er könnte zweitens verkauft werden und Einnahmen bringen – statt für die Entsorgung viel Geld zu kosten und wertvollen Deponieraum zu belegen.
Natürlich ist es eine Illusion, man könne mit kleinkariertem Sparen der dramatischen Finanzkrise der Kommunen beikommen. Die verfilzten kommunalen Wirtschaftsstrukturen müssen aufgebrochen werden. Warum sollen die Unternehmen und Behörden, die sich mit Wasser und Abwasser bisher getrennt befassen, nicht zusammengelegt werden? Das ist in anderen Ländern wie Frankreich und England längst der Fall.
Und braucht man – wie in der genannten Millionenstadt am Rhein – eine eigene linksrheinische und eine eigene rechtsrheinische kommunale Aktiengesellschaft, um Wasser, Gas und Strom an die Bürger derselben Stadt zu verkaufen? Die in mittelalterlichen Kämpfchen gewachsene Aufteilung der Bewohner in links- und rechtsrheinische ist bestenfalls noch Folklore. Durch eine Zusammenlegung könnte Doppelverwaltung eingespart werden. Allein die Abschaffung der verdoppelten Pöstchen in Vorstand, Aufsichts- und Personalrat brächten einige Millionen Mark im Jahr.
Das monströse Konzept „Abwasser 2000“ der genannten Millionenstadt ist mit 2,4 Milliarden Mark veranschlagt. Bei einer fünfzigjährigen Finanzierungslaufzeit fallen für diese Summe ungefähr vier Milliarden Mark Zinsen an, die an die Banken zu zahlen sind. Kommunale Kredite gehören wegen der Garantie zu den sichersten und lohnendsten Krediten überhaupt. Die Banken verdienen ohne viel eigenes Zutun wie im Schlaf. Ein dreijähriger Zinserlaß zum Beispiel brächte der Stadt mehrere Dutzend Millionen. Die Banken – zum Beispiel die „eigene“ Stadtsparkasse – würden immer noch sagenhafte Gewinne machen. Und die Investitionskraft der Stadt könnte wieder steigen – das wäre besser als jedes künstliche und teure Wirtschaftsförderungsprogramm.
Versteht ein nachdenkender Bürger oder eine nachdenkende Bürgerin, warum die deutschen Städte nach dem „kameralistischen Prinzip“ ihre Haushalte führen müssen? Camera, das ist die „Kiste“, die Schatztruhe, aus der der Feudalherrscher etwas für beliebige Zwecke herausnahm, wenn etwas drin war. Dabei kümmerte es ihn nicht, ob die Münzen aus dem Überfall auf ein benachbartes Herzogtum oder aus der Schanksteuer stammten. Und es kümmerte ihn nicht, ob er sie für den Sold seiner Landsknechte oder für die Halskette seiner neuesten Geliebten brauchte. Es war eben wie in der Haushaltsführung der Kommunen in den alten und den neuen Bundesländern: ohne doppelte Buchführung, ohne Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben und notfalls ohne Ratsbeschluß. Wenn dieses mittelalterliche Monstrum nicht geschlachtet wird, können wir jede noch so phantasievolle Sparmaßnahme dorthin schicken, wo bisher ohnehin alles unklar bleibt: in die Kanalisation. Werner Rügemer
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