: Doppelkinn und positives Reizklima
■ Vor dem heutigen Bundesligastart in Stuttgart sprach die taz mit HSV-Coach Benno Möhlmann
taz: Sie haben am 1. August ihren 40. Geburtstag gefeiert. Gab's ein Ständchen von der Mannschaft?
Benno Möhlmann: In diesem Jahr ist nichts passiert. Ich habe an dem Tag freigemacht.
Mit Absicht?
Es ließ sich gut verbinden, weil wir davor im Trainingslager waren. Ich mache das immer, wenn wir elf, zwölf Tage zusammengewesen sind. Mit Gewalt hätte ich es nicht gemacht, es hat sich einfach angeboten.
Feiern Sie nie mit Ihrer Mannschaft?
In der Vergangenheit habe ich die Mannschaft ein paar Tage später zum Frühstück eingeladen. Geburtstage oder andere persönliche Geschichten finden Eingang ins Mannschaftsleben. Ansonsten habe ich keinen engen Kontakt zu den Spielern und werde auch nicht versuchen, den bewußt aufzubauen. Im persönlichen Bereich sollte man etwas Abstand voneinander haben, wenn man tagtäglich zusammenarbeitet.
Sie duzen Ihre Spieler nicht?
Ich duze alle Spieler. Die Spieler handhaben das unterschiedlich. Diejenigen, mit denen ich noch zusammengespielt habe oder die mich aus meiner Zeit als Amateur- und Co-Trainer kennen, duzen mich. Uli Stein auch, aber ansonsten siezen mich die Neuen. Das ist für mich auch nicht so entscheidend. Die Spieler sollen das so machen, wie sie es für richtig halten.
Vor einem Jahr haben Sie behauptet, Ivanauskas sei kein Weltklassemann.
Da habe ich ja richtig gelegen.
„Sergio Zarate ist kein lustloser Spieler“
Und Stein oder Zarate?
Weltklasse ist ein gehöriger Anspruch. Ich weiß nicht, ob überhaupt ein HSV-Spieler dem gerecht werden kann. Am ehesten Yordan Letchkov. Zarate ist mit 25 Jahren noch ein relativ junger Spieler, der zwar technische Fähigkeiten hat, aber von den Weltklassefußballern noch weit entfernt ist. Noch weiter als Ivanauskas.
Vom Gehalt her steht Karsten Bäron auf einer Stufe mit Letchkov (rund eine Million Mark pro Jahr; die Red.).
Karsten hat das Potential, ein sehr guter Spieler zu werden. Für seine 21 Jahre ist er schon sehr weit, obwohl er im Moment für das, was er leistet, eventuell überbezahlt ist. Aber wenn man sieht, wie weit er noch kommen wird, paßt das ganz genau.
Sergio Zarate wirkt zuweilen lustlos und unmotiviert.
Ich glaube nicht, daß er ein lustloser Spieler ist. Er hat natürlich eine überholte Vorstellung von der Art, Fußball zu spielen. Das geht heute nicht mehr. So überragend kann kein Spieler sein, daß man ihn ganz außen vor lassen kann. Er muß auch in Hamburg bereit sein, darauf einzugehen, was eine gestandene Mannschaft vorgibt. Damit ist er noch nicht über den Berg.
Er entzieht sich auch den Fans, gibt viel weniger Autogramme als zum Beispiel Uli Stein.
Er hat zur Zeit das Problem, daß er mit seinen Autogrammkarten unzufrieden ist, weil er auf denen nicht gut getroffen wurde.
Die mit dem fetten Doppelkinn?
Genau die. Das paßt ja gar nicht zu ihm. Er stellt sich im Moment ein bißchen stur und will neue Autogrammkarten haben. Daß er weniger Autogramme gibt, ist mit Sicherheit keine grundsätzliche Einstellung.
Die Neuverpflichtungen wurden nach dem Motto „Konkurrenz belebt das Geschäft“ getätigt. Wo bleibt die Harmonie?
Vom Ansatz her haben Sie recht, daß ein erhöhter Konkurrenzkampf die Harmonie nicht unbedingt steigert. Ich glaube aber, daß wir Spieler dazubekommen haben, die gut zu uns passen und auch nicht den Gehaltsrahmen sprengen. Es kann also nicht den gleichen Ärger geben wie letzte Saison bei Borussia Dortmund.
Sie haben einmal gesagt, Ihre Mannschaft sei „lau“ und deshalb bräuchten Sie jemanden wie Uli Stein, der für ein „positives Reizklima“ sorgen soll.
Voriges Jahr war es bei uns teilweise schon zu harmonisch. Eine positive Unruhe steigert das Leistungsvermögen. Wenn es so kommen sollte, würde es mich nicht stören, aber ich habe Uli Stein nicht deshalb geholt, sondern weil er ein guter Torwart ist.
Wie vermitteln Sie den Spielern Autorität, ohne autoritär zu sein?
Es gibt verschiedene Ansichten, wie man spielen sollte, um erfolgreich zu sein. Im Fußball klappt das nur, wenn alle, die auf dem Platz stehen, versuchen, nach einer Vorgabe zu spielen. Die muß für die Spieler logisch und klar sein. Dann ist auch die Akzeptanz da, das zu machen, was der Trainer sagt. Das Schlimmste ist, wenn Leute im Spiel etwas anderes versuchen.
Ist es nicht frustrierend, einen Jahresetat wie von Bayern München (über 30 Millionen Mark; die Red.) zu sehen? Gegen die haben Sie mit Ihren 20 Millionen doch keine Chance.
Wir rechnen uns schon Chancen aus, sonst könnten wir aufgeben. Es ist natürlich nicht so einfach, denn es besteht schon eine Verbindung zwischen Etat und sportlicher Leistung. Dennoch ist es möglich, auch mit relativ bescheidenen Mitteln in diese Phalanx einzubrechen.
Die Experten tippen den HSV nur zwischen Platz sieben und elf.
Im Vergleich mit den anderen Bundesligakadern ist es nicht verkehrt, uns da einzustufen. Ich kenne unsere Spieler besser und glaube, daß wir drei, vier Plätze höher stehen können. Nur Dortmund, Kaiserslautern, Bayern oder Frank-furt sind eindeutig stärker als wir.
Ihr Präsident, Ronald Wulff, fordert einen Uefa-Cup-Platz.
Er hat das zwar in der Öffentlichkeit gesagt, aber von mir verlangt er es nicht. Er weiß auch, daß das Quatsch wäre. Andererseits hat er uns dadurch unter Druck gesetzt und sich selbst unter Zugzwang. Sollten sich die Erwartungen nicht erfüllen, müßte er reagieren.
Und was passiert, wenn der HSV nur um Platz zwölf rumdümpelt?
Wenn wir uns in der gesamten Hinserie im zweistelligen Bereich bewegen, wird mit Sicherheit mein Vertrag nicht vorzeitig verlängert.
Beim FC St. Pauli sind die Fans viel stärker in den Verein eingebunden als beim HSV.
Die Situation von St. Pauli ist auf den HSV nicht übertragbar. Wenn die ein Stadion hätten, in das die dreifache Menge reingeht, wäre zu bestimmten Gruppierungen weniger Kontakt möglich. Am Millerntor ist man ja fast schon zu Kontakt gezwungen, und daraus haben die das Optimale gemacht. Das Klima und der Umgang miteinander sind irgendwie sensationell.
Und beim HSV? Eine Massenveranstaltung wie auf dem Rathausmarkt steigert die Kommunikation nicht unbedingt.
Unser Fanturnier am Volkspark bringt viel mehr als eine Großveranstaltung. Da kann man ja nicht einmal in Ruhe ein Autogramm geben. Die Fans drücken sich gegenseitig fast schon kaputt. Im Moment gibt es von meiner Seite aus in puncto Fanarbeit keine großen Überlegungen. Das wichtigste ist für mich, daß wir guten Fußball spielen.
Sie stehen mit St. Pauli in Konkurrenz, was das Bild in der Öffentlichkeit angeht.
Für uns ist der FC St. Pauli immer wieder Anlaß, uns selbst zu überprüfen. Wir sehen auch, was sich da abspielt und was man vielleicht übernehmen kann.
Eine Mannschaft muß Siege vorweisen und gleichzeitig möglichst gut spielen. Das klappt aber nicht immer.
Mittlerweile bin ich auch so pragmatisch, daß ein Sieg für mich über alles geht. Darüber kann ich auch vergessen, daß wir vielleicht nicht so gut gespielt haben. Am Anfang konnte ich auch eine Niederlage noch positiv darstellen. Das würde ich heute nicht mehr machen wollen.
Ihre Ansprüche haben sich in den zwei Jahren als Cheftrainer also verändert.
Das liegt auch an der Wechselwirkung zwischen der Darstellung in den Medien und der Arbeit mit der Mannschaft. Die Medien haben doch mehr Einfluß, als ich anfangs gedacht habe. Ich kann mich nicht mehr darauf beschränken, nur mit der Mannschaft zu arbeiten und einfach zuzusehen, daß sie sich weiterentwickelt.
„Ich benutze die Medien zur Einflußnahme“
Sind Sie selbstbewußter geworden?
Als ich Cheftrainer wurde, hatte ich eigentlich vor, weniger zu erzählen, aber das funktioniert nicht. Ich weiß mittlerweile, daß für viele Spieler meine Stellungnahme in der Presse wichtiger ist, als wenn ich es ihnen direkt sage. Die zeigen heutzutage auf dem Platz eher eine Reaktion, wenn sie Druck von außen spüren. Das ist eigentlich schlimm. Dennoch halte ich es noch immer so, daß ich erst in der Öffentlichkeit über Spieler rede, wenn ich vorher mit denen gesprochen habe.
Sie benutzen die Medien für Ihre Zwecke?
Ich nehme auch schon mal über die Medien Einfluß auf die Mannschaft. Das ist richtig.
Sie waren früher in der Spielergewerkschaft vdv (Vereinigung der Vertragsfußballspieler; die Red.) aktiv. Aus Idealismus?
Den will ich mir auch bewahren. Aber in vielen Bereichen kommt doch wieder die Bequemlichkeit durch. Die mangelnde Zeit, obwohl man sich die auch nehmen könnte. Ich kann aber nicht alles anprangern, was mir mißfällt, und versuchen, es zu verändern.
Der Trainerjob als permanenter Kompromiß?
Das würde ich nicht sagen. In den wesentlichen Dingen darf man nicht immer kompromißbereit sein. Man muß lernen, wo es sich lohnt, viel Energie reinzustecken, um etwas zu erreichen.
Sie sind also ein realistischer Idealist.
Was ist denn nun besser – ein realistischer Idealist oder ein idealistischer Realist? Ich bin schon beides. Was ich mehr bin, weiß ich nicht.
Wir würden uns da auch nicht festlegen wollen.
Interview: Claudia Thomsen, Jan Strahl und Clemens Gerlach.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen