Stadtmitte: Systemfehler
■ Die Denkmalfrage ist unter die Räder der Profitreiter gekommen
Die eingetragenen und potentiellen Baudenkmale, die in diesen Tagen der Stadt unwiederbringlich verloren gehen, sind nur die Spitze eines Eisbergs. Auch die sogenannte „Architekturdebatte“ um die richtigen Bilder für das Berlin der Zukunft wird von Tag zu Tag fadenscheiniger. In Berlin herrscht planungskultureller Ausnahmezustand, die Stadtentwicklung ist außer Kontrolle, die Kommune im multipeln Interessenkampf erledigt. Was nutzt das Zauberwort „Strategische Planung“ in einem sich selbst blockierenden System? Fieberhaft bemüht, für den Moment noch den Schein der Prosperität zu bewahren, verkauft die finanziell bedrängte Stadt derzeit ihr Tafelsilber. Hauptsache, es drehen sich recht viele Kräne hinter Bauschildern mit soliden Prospekten. Bewegung ist alles ... Während sich aber in den Medien ästhetische Bestimmänner mit schweren Säbeln in Form- und Etikettefragen duellieren, entgeht dem gebannten Publikum, daß jeder Developer machen/abreißen kann, was, und als Architekten einkaufen mag, wen er will. Jenseits der spektakulären Wettbewerbe sind ganz andere Kräfte dabei, der Stadt die Zukunft zu weisen.
Die Denkmalpflege ist in diesem System von vornherein das schwächste Glied, da sie keine wirtschaftliche Lobby hat. Unter dem Druck der gegenwärtigen Ereignisse in Berlin bricht die ohnehin schwach geschützte Nischenposition und das Repräsentationsprinzip rettungslos zusammen. Berlins weltweit einmalige, tragikomische Geschichtscollage hat nur eine Chance, für die Zukunft aufgehoben zu werden, wenn es gelingt, den Denkmalgedanken vom bürokratischen Kopf wieder zurück auf demokratische Beine zu stellen. Wo die Novellierungen der Gesetze und Verordnungen unzulässig lange auf sich warten lassen, müssen eben „Runde Tische“ etabliert werden.
Am dringendsten empfiehlt sich ein solches Vorgehen im Fall des Metropoltheaters. Für sechs Jahre entledigt sich der Kultursenator eines seiner Sorgenkinder durch zeitweilige Übereignung an private Hand. Der Investor verspricht obendrein, das unwirtschaftliche Etablissement komplett zu moderniseren und am Ende in die Nähe der Wirtschaftlichkeit zu bugsieren. Preis dieser Privat-Public-Partnership: Die Verwertungsrechte am anschließenden Stadtgebiet, dem „Metropolkarree“ und dem „Nalbach- Dreieck“, fallen an die als solvent geltenden Anlagengesellschaften. Die Stadt aber wird schon bald um einen historischen Theaterraum ärmer sein, denn was das durch die Investoren beauftragte Londoner Büro der Denkmalpflege als Modernisierungsprojekt vorlegte, hat eine Totalamputation aller Innenräume zur Voraussetzung. Der für derartige Konflikte zuständige Denkmalbeirat beim Stadtentwicklungssenator hat die in bindenden Zusagen des Senators offensichtlich antizipierte Zustimmung in erster Instanz verweigert. Inzwischen ist er turnusgemäß aufgelöst. Möglicherweise fällt die Neuberufung wegen mangelnder Finanzen ohnehin aus. Ein Beirat, der nicht nickt, ist hinderlich, und ein nickendes „Feigenblatt“ kann man sich im wahrsten Sinne des Wortes sparen. Die gegenwärtige Geschäftsordnung verbietet dem Beirat ohnehin öffentliche Stellungnahmen. Das war in Kreuzberger Hochzeiten ganz anders. Da wurde in offenen Briefen zur Rede gestellt, ausführlich begründet, verworfen, verändert.
Wer möglicherweise immer noch meint, dies alles seien vorübergehende Turbulenzen der Hauptstadtwerdung und akute Konflikte einer massiv überforderten Verwaltung, sollte unbedingt nach Brüssel fahren. In der Ecu-Hauptstadt ist der dauerhafte Verlust öffentlich-kommunaler Einflußnahme auf die Stadtentwicklung, die Berlin droht, längst Realität. Aus dieser Stadt darf kein zweites Brüssel werden! Simone Hain
Kunsthistorikerin beim Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung und ehemaliges Mitglied des Denkmalbeirates.
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