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Köpfe, Körper, Ektoplasma

Videoarbeiten von Rosemarie Trockel im Österreichischen Museum für angewandte Kunst  ■ Von Gabriele Hoffmann

Auf einem Bildschirm zeigen Herdplatten, wozu sie außerhalb ihrer Küchendienste imstande sind. Dann reichen die mimetischen Fähigkeiten der kreisrunden dunklen Scheiben mit dem innen leicht eingetieften Ring vom gefälligen Ballett über die Imitation minimalistischer Kunst bis zum furiosen „Herdplatten-Terror“. In dem eineinviertel Minuten dauernden Videofilm nimmt Rosemarie Trockel 1994 ein Thema ihrer Arbeiten von 1987 wieder auf. Die feministische Kritik an Rollenklischees ist mit dem neuen Medium souveräner, aber auch verschlüsselter geworden.

In ihren gestrickten Parodien auf Frauenkunst hatte Rosemarie Trockel ab Mitte der achtziger Jahre das seit Jahrhunderten feminin besetzte Material Wolle als künstlerisches Medium benutzt und gleichzeitig durch computergenerierte Muster und Fabrikfertigung die Aura der Handarbeit zerstört. Mit wollenen „Terroristenmützen“ mit Sehschlitz, „Schwarzendlos Strümpfen“ und anderem Strickzeug drang die Trockel ein in die jahrhundertelange männliche Domäne künstlerischer Kreativität.

Die 1942 im westfälischen Schwerte geborene Künstlerin glaubt aus eigener Erfahrung an den Sinn einer Erziehung zu analysierender Wahrnehmung. Ihre intelligenten und parodistischen Dekonstruktionsstrategien haben die sakrosankten Ordnungen im Visier, die geschlechtliche nicht weniger als die politische.

Das Video „Wollquatsch“ von 1994 könnte das (vorläufige?) Ende der Strickbilder markieren. Das selbsttätig funktionierende Auf- und Abwickeln eines Wollfadens produziert in neun Minuten nicht mehr als ein ästhetisches Fazit der konzeptuellen Arbeiten: die Verdichtung und Verdünnung eines Linienknäuels.

Die Ausstellung mit dem Titel „Anima“ im Österreichischen Museum für angewandte Kunst in Wien stellt die in Köln lebende und längst international beachtete Künstlerin mit zehn kurzen Videofilmen aus den letzten fünf Jahren vor. „Paparazzia“ (1993) ist der paradoxe Versuch, aus Fotos einen Film zu drehen. Jackie Kenney, gedoubelt von Caroline Nathusius, bewegt sich, nur den Kopf etwas aus dem Profil drehend über den Bildschirm, gefolgt von einer auf dem Monitor mit einem x markierten Leerstelle für den unsichtbaren „paparazzo“, den Pressefotografen auf der Pirsch nach einer guten Story. Warhols „Sixteen Jackies“ (1964) werden so zitiert, daß die Unschärfe des Videos und der Standfotos eine besondere Bedeutung bekommt, sie entspricht der Weigerung der Künstlerin, etwas vollkommen zu definieren. Man muß der gelegten Spur nachgehen. Die „Verfolgungsszene“ in „Paparazzia“ könnte dann ihre Fortsetzung in einem Tierporno aus der Serie „Tierfilme“ haben, in dem die freie Bildfläche durch ein Schwein besetzt ist.

„Out of the Kitchen into the Fire“ ist der Titel eines nur halbminütigen Videos: man sieht eine nackte Frau von hinten, die im Zeitlupentempo in die Hocke geht. Dabei läßt sie ein präpariertes Ei fallen, das seinen schwarzen Inhalt auf dem Boden in Form eines Kreuzes verspritzt, während sie einen animalischen Laut ausstößt. Das Video wird in einem als „Haus im Haus“ bezeichneten Einbau vorgeführt, nicht weit entfernt von einem vorschriftsmäßig eingerichteten „Hühnerstall“, in dem auf einer isolierten Herdplatte ein Ei rotiert. Der Film erinnert an eine Trockel-Plastik von 1989, „Eva in Trance“, bei der aus einer eifömigen „Kopf-Körper-Zelle“ Ektoplasma fließt, eine Substanz, die dort als Metapher für die wissenschaftlich nicht meßbaren und daher unberücksichtigt bleibenden Aspekte unserer Erfahrung auftritt. Man muß schon mit Trockels konzeptueller Methode der Desorientierung vertraut sein, um solche Bilder dechiffrieren zu können. Von Anfang an hat Rosemarie Trockel ihre Bilderfindungen zur Schärfung der Wahrnehmung eingesetzt, so, wenn sie mit Bedeutung beladene politische und sexuelle Symbole zu Musterelementen herunterspielte. Auch in den neuesten Videos spielen Muster eine besondere Rolle, nicht für die Erklärung von Fakten, sondern für die Formulierung der Frage, wie es zur Entwicklung und Fixierung von Ordnungsschemata kommt. Der Videofilm „Napoli“ zeigt ein bekanntes Naturschauspiel: Stare, die kurz nach Sonnenuntergang in großen Schwärmen über den Himmel ziehen. Aus den unvorhersehbaren Änderungen der Flugrichtung ergeben sich immer neue Formationen, transitorische Bilder der Vernetzung und Entflechtung. Es ist die faszinierende Erfahrung einer sich in jedem Moment neu bildenden Ordnung – das Gegenbild zum Raster. Auch dem Video „Parade“ (194, 11:35 min.) zu Musik von Kurt Hoffmann liegt die Aufzeichnung einer Naturbeobachtung zugrunde: Das kollektive Verhalten der Prozessionsspinner- Raupe. In gleichförmigen Bewegungen und einheitlichem Tempo formieren sich Raupen-Ketten zu ganz verschiedenen Figuren. Im Video entfalten die weißen Nachbilder auf blauem Grund die zwecklose Schönheit organisch- lebendiger Muster.

Rosemarie Trockel, die, bevor sie Künstlerin wurde, Mathematik und Religionswissenschaft studierte, hat aus ihren oft von Zufällen ausgelösten Recherchen gelernt, „daß in unserer heutigen schnellebigen Zeit jede Wichtigkeit im Prinzip immer nur in ein Muster paßt.“ Um dieses Phänomen sichtbar zu machen, gibt sie einem Symbol einen „seriellen Charakter“, so daß „es zu einem Muster wird, einem Muster allerdings, das dann wieder für ein Symbol steht“. Mit dem Ausstellungstitel „Anima“ wird die Nähe ihres Denkens zur Psychologie von C.G. Jung angesprochen. „Anima“ bezeichnet in diesem Kontext Leben „jenseits aller Kategorien“. Trockels Bildserien bringen das Nicht- Ich, aus männlicher Sicht das Weibliche, als das andere zur Sprache. Oft sind es Tiere, die den gegengeschlechtlichen unbewußten Teil der Psyche repräsentieren.

Rosemarie Trockel vertritt, wie gerade ihre neuen Videofilme zeigen, keinen feministisch kategorischen Standpunkt, der die männliche durch die weibiche Perspektive ersetzen will, sondern einen, der die Geschlechterdifferenz und -koexistenz, aber auch die Unschärfe ihrer Trennlinie bejaht. Wenn sich die Künstlerin (1988 in einem Gespräch) dazu bekennt, daß Kunst die „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ ist, so propagiert sie in der Praxis den „Marsch durch die Institutionen“. In den Filmen und Fotoserien der Ausstellung sind es vor allem die Institutionen der Repräsentation von Weiblichkeit und Sexualität.

Anima, bis 2.10. im Museum für angewandte Kunst Wien.

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