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„Sie müssen wissen, was Sie machen“

Berliner Polizeischüler melden sich bei der SPD / Nach taz-Interview prüft Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren / Gewerkschaft erhebt Vorwürfe gegen Zeugen  ■ Von S. Weiland und A. Rogalla

Die Staatsanwaltschaft in Berlin prüft, ob wegen der Anschuldigungen eines ehemaligen Polizisten in der taz ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet wird. Dies erklärte gestern der Sprecher der Berliner Justizverwaltung, Frank Thiel. Der 22jährige ehemalige Bereitschaftspolizist hatte seine Kollegen in einem Interview beschuldigt, festgenommene Deutsche und Ausländer mißhandelt und sich mit schwereren Schlagstöcken als erlaubt ausgerüstet zu haben (siehe taz vom 25.8.).

Unterdessen reißen die Meldungen über Mißhandlungen von Ausländern nicht ab. Dem Vorsitzenden des Innenauschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, Helmut Hildebrandt (SPD), haben sich nach einem Bericht der Berliner Morgenpost zwei Polizeischüler als Zeugen offenbart. Einer der beiden Polizeianwärter habe auf einem Abschnitt im Bezirk Pankow gesehen, wie zwei Zivilbeamte einen festgenommenen Russen zu Boden geschlagen und ins Gesicht getreten hätten, so Hildebrandt. Als der Polizeischüler den Vorfall seinem Vorgesetzten mitteilte, habe der gesagt: „Wir schreiben jetzt eine Anzeige wegen Widerstands. Sie können ja eine Gegenanzeige schreiben. Sie müssen wissen, was Sie machen.“ Wachleiter und Zugführer sollen den Polizeischüler „regelrecht hängengelassen“ haben. „Im Rahmen der Ausbildung ist das eine Riesenschweinerei“, sagte Hildebrandt. Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) forderte gestern die in der taz und der Morgenpost zitierten Zeugen auf, sich zu offenbaren.

Sowohl Heckelmann als auch der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Klaus Eisenreich, stellten gestern die Glaubwürdigkeit des taz-Zeugen in Frage. Beide erhoben den Vorwurf, der Zeuge sei wegen Körperverletzung und Nötigung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und aus der Polizei entlassen worden. Daß es sich dabei um ein noch nicht rechtskräftiges Urteil handelt, mochte GdP-Sprecher Eisenreich nicht kommentieren.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom Anfang dieses Jahres hatte der Anwalt des taz-Zeugen Berufung eingelegt. Der Breitschaftspolizist wurde damals wegen Körperverletzung im Amt in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Nötigung im Straßenverkehr zu einer Strafe von sieben Monaten, ausgesetzt auf Bewährung, verurteilt.

Das Gericht sah es als erwiesen an, daß er im Dezember 1992 zusammen mit einem anderen Beamten einen Serbokroaten während einer Personenüberprüfung an den Haaren gezogen und mit den Hinterkopf auf den Boden des Einsatzwagens geschlagen hatte. Insgesamt war gegen sechs Beamte ermittelt worden, angeklagt wurde nur der taz-Zeuge. Dieser beteuerte gestern erneut, den Mann nicht angerührt zu haben.

Das Entlassungsschreiben an den ehemaligen Polizisten attestiert ihm gesundheitliche „Nichteignung“ für den Polizeidienst. Auch in der Begründung findet sich kein Hinweis auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe.

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