piwik no script img

„Haben Sie da überhaupt gearbeitet?“

■ Im „Blutpanscherprozeß“ gegen die Firma UB-Plasma vor dem Landgericht Koblenz liegen die ersten Geständnisse vor

Koblenz (taz) – Seit gut vier Wochen wird am Koblenzer Landgericht gegen die mutmaßlichen Blutpanscher der Firma UB- Plasma verhandelt. In rund 71.000 Fällen sollen die Angeklagten die Ansteckung von Menschen mit Aids- und mit Hepatitis-Viren durch ihre Blutprodukte „fahrlässig“ in Kauf genommen haben. Und in mindestens 54 Fällen hätten der Geschäftsführer von UB- Plasma, sein Stellvertreter, der leitende Laborazt und zwei weitere Angestellte auch „mit Vorsatz“ gegen die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes verstoßen.

Sie zapften acht Jahre lang Tausenden von Menschen Blut ab. Sie testeten (nicht immer sorgfältig) Zigtausende von Blutproben auf ihre Tauglichkeit zur Herstellung von sogenanntem Industrieplasma – und sie erhielten vor vier Jahren auch die Lizenz zum Verkauf von Humanplasma an Krankenhäuser. Doch die Truppe von UB-Plasma, macht auf ProzeßbeobachterInnen den Eindruck einer Drückerkolonne vom Zeitschriftenmarkt: „Alles windige Gestalten.“ Die merkwürdigste Figur ist der leitende Laborarzt Dr. Alexander Kressler. Er war bei UB-Plasma für die „Eingangskontrolle“ der Spender und für die Endkontrolle der Blutspenden zuständig. Kressler soll, so seine Assistentin Gunhild Jacobus, die vor knapp zwei Wochen ein umfassendes Geständnis ablegte, auch der Mann gewesen sein, der an Gelbsucht erkrankte Blutspender zur Spende zugelassen und das illegale „poolen“ (Mischen) diverser Blutspenden veranlaßt habe.

Bei seiner Vernehmung konnte sich Kressler – inzwischen spöttisch „Gaf Dracula“ genannt – nicht mehr an das ihn belastende Geständnis seiner Kollegin erinnern. Auch daß er im Laufe der Jahre seiner Tätigkeit für UB- Plasma verschiedene Vorschriften zum korrekten Umgang mit Spendern und mit Blut persönlich abgezeichnet hatte, war dem Angeklagten „entfallen“. Von einem Werbeprospekt von UB-Plasma, in dem er mit Foto und Unterschrift für die „sauberen Produkte“ der Blutpanscherei warb, wollte Kressler nichts mehr wissen. Kommentar des Staatsanwaltes: „Haben Sie überhaupt in dieser Firma gearbeitet?“ Und der Vorsitzende Richter Theo Alsbach schüttelte nur noch den Kopf: „Herr Kressler! Es kann doch nicht alles an Ihnen vorbeigelaufen sein?“

Nachdem Jacobus ihre Anschuldigungen gegen Kressler wiederholen durfte, legte der Doktor dann – zum Entsetzen seines Advokaten und der anderen Angeklagten – ein Teilgeständnis ab. Er habe in der Tat einige Blutspender zugelassen, deren Hepatitis-Testergebnis bei der vorherigen Spende nicht einwandfrei gewesen sei. Kressler gab auch zu, Eintragungen über die Blutwerte von Spendern manipuliert zu haben. Nach den Einlassungen seines Mandanten kündigte sein Rechtsanwalt die Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens zum Geisteszustand von Kressler an.

Sollte diese neue Strategie der Verteidigung zum Erfolg führen, wäre aber auch der Beweis dafür erbracht, daß bei UB-Plasma ein Arzt zum „Herstellungs- und Stufenleiter“ ernannt wurde, der nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.

Um Kopf und Kragen wird es demnächst bei Geschäftsführer Ulrich Kleist, seinem leitenden Angestellten Bernhard Bentzien und dem Kontrolleiter Dieter Stüer gehen. Die bisherige Strategie der VerteidigerInnen, alle Vorhaltungen der Staatsanwaltschaft als gegenstandslos zurückzuweisen, ist nach den Einlassungen von Jacobus und Kressler obsolet geworden. Klaus-Peter Klingelschmitt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen