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Obszöne Dialoge

■ "NYPD Blue" - Die Renaissance der klassischen Cop-Serie

Der Mafioso Giradelli ist eitel. Er trägt ein Toupet. Leidenschaftlich hat der versoffene Cop Andy Slipowicz ihn gejagt. Doch der Gauner ist mit allen Wassern gewaschen. Mangels Beweisen wird er vor Gericht freigesprochen. Slipowicz kocht vor Wut. Er sucht den Unterweltler in seiner piekfeinen Kneipe auf und stopft ihm sein Toupet in den Mund. Tags darauf stehen sie sich gegenüber. Der Cop ist Giradelli in die Falle gegangen. Verbittert über die Trägheit der Justiz zischt er dem Gangster entgegen, er wäre lieber tot als so ein affiges Toupet zu tragen. Was er nach der anschließenden Schießerei auch ist. Zumindest fast.

Eine Szenenfolge aus der US- Fernsehserie „NYPD Blue“. Innerhalb dessen, was im Medium Fernsehen möglich ist, markiert die in den USA erfolgreich laufende Serie einen qualitativen Sprung wie er zuletzt bei „Twin Peaks“ zu beobachten war. Der Erfolg basiert weniger auf „gewagten Sex-Szenen“, denn auf der Grunderneuerung dieses Genres. Im Gegensatz zum Kino paßte sich das Bild des Polizisten im Fernsehen nur langsam der Realität an. Lieutenant Kojak markierte den ersten deutlichen Bruch mit den naiven Law-and-Order-Cops aus den Polizeiserien der 60er Jahre (zum Beispiel „FBI“). Der Kahl- Cop mit dem Lolli Pop verkörperte im Fernsehen erstmals keinen ungebrochenen Kämpfer mehr für Recht und Ordnung, sondern einen Krisenmanager. In dem Maße, wie die sozialen Verhältnisse im New York der 70er Jahre dazu führten, daß Verbrechen ein nicht wegdenkbarer Teil der Wirklichkeit wurde, geriet auch die Zeichnung der Gangster im Fernsehen menschlicher. Neu an „Einsatz in Manhatten“ war die für TV- Verhältnisse ungewohnt präzise Milieuschilderung. Savalas avancierte zum ersten Weltstar, der nicht aus dem Kino, sondern allein aus dem Fernsehen hervorging.

Erotisierung des Krimis

Nach Kojak wandelte sich das Bild des TV-Cops. In den 80er Jahren ermittelte Don Johnson als Jet- Set-Cop Sony Crockett in „Miami Vice“ vor touristisch attraktiver Kulisse. Realistische Abbildung von Polizeiarbeit spielte hier keine Rolle. Es ging mehr um die Erotisierung des Krimis. Männer wurden erstmals für Frauen optisch ansprechend in Szene gesetzt. „Miami Vice“ spielte in den hedonistischen 80er Jahren; entsprechend ging es immer um große Summen, nicht um Kleinkriminalität.

Harter Polizeialltag

Als Rückkehr zur klassischen Cop- Serie ist „NYPD Blue“ eine Synthese aus Kojak und „Miami Vice“. Detective Kohn Kelly (David Caruso) ist zwar ein Schönling, aber ein ausgesprochen tougher, gebrochener. Das liegt daran, daß es wieder um harte Polizeieinsätze auf der Straße geht. „NYPD Blue“ setzt logischerweise dort an, wo Kojak aufhörte: in New York. Geschrieben und produziert wird die Reihe von Stephen Bocho und David Milch, die bereits Cop-Serienerfahrung mit „Polizeirevier Hill Street“ (s. auch taz vom 23.8.) gesammelt haben, einem satirischen Kammerspiel aus der Feder von Mark Frost, der daraufhin zusammen mit David Lynch in „Twin Peaks“ Polizeiarbeit zum exotischen Ereignis stilisierte.

„NYPD Blue“ ist das Gegenstück zur Seifenoper-Parodie „Twin Peaks“. Statt eines Cops, der so fremdartig ist, als wäre er wie Agent Cooper vom Himmel gefallen, ermitteln in „NYPD Blue“ realistische Polizisten, die nach Schweiß stinken, wie die Löcher saufen und in Scheidung leben. Der korpulente Detective Andy Slipowicz (Dennis Franz) ist ein heruntergekommener Bulle, der ständig unter Strom steht. Sein Partner John Kelly (David Caruso), die eigentliche Hauptfigur, markiert zumindest optisch das totale Gegenteil. Die beiden kommen leidlich miteinander aus.

Das Gebrochene, vom Schmelztigel New York Angefressene der Protagonisten spiegelt sich vor allem in der formalen Machart von „NYPD Blue“. Häufige Schwenks, harte Schnitte und der permanente Einsatz einer wackeligen Handkamera spiegeln die nervöse Angespanntheit der Akteure. Die durch Wort und Bild erzeugte Nähe zum Geschehen wechselt mit traumartig entrückten Bildcollagen. Selten nur erlaubt eine ordnende Total- Einstellung einen beruhigenden Überblick. Die meiste Zeit über harrt der Zuschauer auf Blickhöhe mit den Protagonisten. Die Videoclip-Ästhetik des fragmentierten Blickes ist hier nicht Selbstzweck, sondern wird als tragfähiges ästhetisches Konzept erschlossen. „NYPD Blue“ hinterläßt den Eindruck fieberhafter Intensität.

Für die zweite Staffel wurde die Rolle des Polizisten John Kelly übrigens umbesetzt. Produzent Bocho feuerte Caruso, der nach dem Erfolg der Serie plötzlich mehr als die doppelte Gage forderte. Sein Nachfolger ist Jimmy Smits („L.A. Law“). Manfred Riepe

„NYPD Blue“, ab heute, immer montags um 21.15 Uhr auf Pro 7

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