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Böse Geister per Flugzeug ab nach Tokio

Mit der Eröffnung eines neuen Flughafens nimmt Osaka den Streit um die Wirtschaftsmacht mit Tokio auf / Der japanische Zentralstaat gerät unter Beschuß  ■ Aus Tokio Georg Blume

Wenn Japan früher nicht nur ein von unnahbaren Shogunen gelenkter Zentralstaat war und heute mehr als ein modern verwalteter Bürokratenstaat ist, dann verdanken die Japaner das in erster Linie Kansai. Versehen mit einem Bruttosozialprodukt von der Größe Kanadas, erstreckt sich die Kansai-Tiefebene von der Tempelstadt Kioto im Norden bis zur Handelsmetropole Osaka im Süden, vom alten Überseehafen Kobe im Westen bis zur Kaiserstadt Nara im Osten. 20 Millionen Menschen leben hier – und haben seit gestern einen neuen Flughafen: größer, schöner und teurer als der in Tokio.

Zwei Jahrzehnte hatte dessen Entwicklungsodyssee gedauert, bis schließlich gestern bei Sonnenaufgang der Japan-Airlines-Flug Nummer 1944 aus Guam die frischgeteerte Landebahn des „Kansai International Airport“ (KIA) berührte. „Mit der Eröffnung des Flughafens wird eine neue Ära für Kansai beginnen, weil das unendliche Potential zur Vitalisierung und Internationalisierung der regionalen Wirtschaft freigelegt wird“, versprach Tsuneharu Hattori, Vorsitzender der Flughafengesellschaft. Mit anderen Worten: Kansai sei fit, um der Hauptstadt Tokio ernstzunehmende Konkurrenz zu machen. Im Fernsehen hatte die Flughafenwerbung zuvor versprochen, alle bösen Geister von Osaka würden nach der Flughafeneröffnung den ersten Flug nach Tokio nehmen und fortan nur noch dort ihr Unwesen treiben.

Der Streit zwischen Kansai und Kanto, wie sich die Tokioter Tiefebene auch nennt, ist nicht neu. Mit einer Mischung aus der bitterbösen Haßliebe, die Bayern und Preußen verbindet, und der Erhabenheit, mit der sich in Amerika Ost- und Westküstler begegnen, nehmen die japanischen Metropolen bis heute aneinander Maß. Die Menschen in Kansai seien großzügiger und direkter, heißt es in Osaka, aber auch schlawinerhaft und unzuverlässig, so ergänzt man in Tokio. Ständig ringt man mit Vergleichen: Tokio hat den zweitgrößten Aktienmarkt der Welt, Osaka immerhin den viertgrößten. Der neue Flughafen soll die Karten neu verteilen, dient also als Trumpfkarte für den bislang meist Schwächeren in einem alten Spiel.

KIA ist schon deshalb ein Prestigeprojekt, weil es wenige Japaner und Japanreisende gibt, die sich nicht schon einmal über den Narita-Flughafen bei Tokio geärgert haben. Die sechzig Kilometer lange Anreise von Tokio, die unendlichen Wartezeiten vor dem Abflug und der seit dreißig Jahren ununterbrochene Streit zwischen Regierung und den anliegenden Bauern über die Erweiterung des bislang einzigen internationalen Flughafen des Landes haben aus Narita ein Symbol des Scheiterns gemacht: für die verpaßte Internationalisierung, den unwürdigen Empfang vieler Auslandsgäste, eine unzureichende Infrastrukturpolitik und die Ineffizienz zentralstaatlicher Planung.

Doch wozu in Kansai nun diese Landebahn auf einer künstlichen Insel im Meer? Noch dazu zum Preis von 23 Milliarden Mark – so viel, wie niemals zuvor auf der Welt für einen Flughafen gezahlt wurde? Zum Eröffnungstag war vor allem die nationale Presse in Tokio voller gehässiger Kommentare: „Kurz vor der Pleite“, titelte etwa Asahi über die Finanznöte der halbstaatlichen Flughafengesellschaft, die daraus herrühren, daß bisher nur zwei Drittel der erwarteten Flüge aus Osaka starten.

Die Tiraden aus Tokio waren freilich sorgfältig von der Zentralregierung orchestriert, die sich heute schon gegen jede Erweiterung des KIA wehrt, der bisher nur eine Landebahn hat und doch mehrere benötigt, um zum internationalen Transferflughafen zu avancieren. Tokio will lieber weitere zehn Jahre mit den Flughafengegnern von Narita verhandeln.

Doch gerade aufgrund der Tokioter Art, die Probleme bürokratisch über Jahre zu verschleppen, schöpft Kansai heute neuen Mut. „Deregulierung“ lautet das derzeit wichtigste wirtschaftspolitische Schlagwort, das auch die Bürokraten in Tokio zum Umdenken zwingt. Politik und Wirtschaft in Kansai erhoffen sich größere Eigenständigkeit, gerade auch im Geschäft mit dem Ausland. Dafür setzt der Flughafen ein Zeichen.

Natürlich werden damit die Vorwürfe mancher Bürgerinitiativen, mit dem neuen Flughafen seien Steuergelder beliebig verschwendet worden, nicht entkräftet. Doch wie hätte Kansai je besser Kanto übertrumpfen können?

„Der Vorteil von Kansai besteht darin, daß einen das politische Gezänk nicht ständig von der Arbeit abhält“, hat Tsuzo Murase, der Vizepräsident des in Osaka ansässigen Matsushita-Elektronikkonzerns, erkannt. Ausländische Unternehmer, die demnächst für ihre Japangeschäfte gar nicht erst in Tokio landen, mögen das eines Tages schätzen lernen. Und für Touristen haben Kioto und Nara allemal mehr zu bieten als jenes „wahrhaft urbane Territorium“, als das Roland Barthes einst Tokio bezeichnete.

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