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So gut wie jetzt werden es die Erstkläßler nie wieder haben – überall werden die Etats gekürzt / Am Beispiel Niedersachsens läßt sich überdies verfolgen, wie die SPD Reformprojekte mit Sparzwängen vereinbart: gar nicht Von Jürgen Voges

Schule 1994: Streichen, sparen und verzichten

Die gelbe Fassade am Eingang zum Primarbereich der Gesamtschule ist dicht an dicht mit Graffiti verziert. Doch daran stören sich Oma und Opa nicht, die in Hannover vor der Integrierten Gesamtschule Roderbruch mit dem Enkel samt Schultüte aufs Foto wollen. Einschulungen sind längst Familienfeste geworden. Während die Kleinen hinter der großen Fenstern einer Trennwand ihre erste halbe Schulstunde erleben, gibt es vor dem Klassenraum Kaffee und Kuchen für Verwandte und Bekannte. Nichts davon, daß da „der Ernst des Lebens beginnt“, wie es einst bei den Müttern und Vätern hieß. Schule soll Spaß machen – das ist an diesem niedersächsischen Einschulungstag nicht nur hier die Botschaft. Bei der Feier in der Aula haben die aus dem vierten Jahrgang einen Schüler-Zirkus präsentiert, sind als Affen auf Tischen rumgekrabbelt. Die gerade eingeschulte blonde Anna-Rosa ist nach der ersten Stunde fast schon enttäuscht: „Die Lehrer haben nicht viel gesagt. Wir mußten vom Urlaub erzählen“, meint sie.

Schule fängt an, und eins ist jetzt schon klar: Was ihren Unterricht angeht, was ihre Versorgung mit Lehrern angeht, werden es nicht nur in Niedersachsen die kleinen Erstklässler wohl nie mehr so gut haben wie in diesem Jahr. Alle Regierungen der alten Bundesländer, auch die SPD-Alleinregierung in Niedersachsen, werden gerade bei den Personalkosten im Bildungsbereich rigoros sparen. Dabei ist sicher, daß die Zahl der Schüler in den nächsten vier Jahren um zehn Prozent ansteigen wird, zumindest in den alten Bundesländern.

Doch keines dieser Länder denkt angesicht der desolaten Haushaltslage gegenwärtig daran, zusätzliche Lehrerstellen zu schaffen. Im Gegenteil: In Niedersachsen droht die Zahl der Pädagogen bis 1998 kräftig zu sinken. Gerhard Schröder persönlich hat kürzlich einem generellen Einstellungstopp für den Landesdienst das Wort geredet. Jährlich gehen in den nächsten Jahren in Niedersachsen etwa 1.500 Leher in Pension. Rechnet man die keinewegs seltenen vorzeitigen Pensonierungen mit ein, so wird die Zahl der Pädagogen noch stärker sinken.

Die Landes-SPD mit Gerhard Schröder an der Spitze kann man gerade dabei beobachten, wie sie den üblich Zyklus von Wahlversprechen und Wahlbetrug durchschreitet. Die Sozialdemokraten hatten einst im Jahre 1990 die Macht im Lande Niedersachsen unter anderem mit dem Vorsatz erlangt, die schon zu den Akten gelegte Bildungsreform wieder aufzunehmen. Vor der diesjährigen Wahl drückte sich Gerhard Schröder dann vorsichtiger aus. Zum Wahlkampfauftakt Anfang des Jahres wies Schröder darauf hin, daß bis zum Jahr 2000 in Niedersachsen 150.000 Kinder mehr betreut werden müssen. 9.000 neue Stellen müßte Niedersachsen bis dahin schaffen, um die gegenwärtige Lehrer-Schüler-Relation zu halten. Dies allerdings, so sagte Schröder damals, könne das Land verantwortungsvoll nicht finanzieren. Doch immerhin versprach er, bis zum Jahre 1998 6.000 junge Lehrerinnen und Lehrer einzustellen, „davon 1.100 auf zusätzliche Stellen“. Die 1.100 zusätzlichen Lehrerstellen, dies ist bereits beschlossene Sache, wird es in Niedersachsen auf keinen Fall mehr geben.

Der Kultusminister des Landes, Rolf Wernstedt, kämpft nun um die Wiederbesetzung der freiwerdenden Stellen, gegen den generellen Einstellungstopp, und es ist noch keineswegs ausgemacht, daß der niedersächsische Kultusminister am Ende dieser Auseinandersetzung noch Rolf Wernstedt heißen wird.

Bisher hat sich Wernstedt als erstes von allen weiteren Reformvorhaben verabschiedet, die Unterrichtsversorgung will er durch eine Vielzahl einzelner Einsparmaßnahmen rechnerisch auf dem gegenwärtigen Niveau von 98 Prozent halten – trotz steigender Schülerzahlen. Neugründungen von Halbtagsschulen, von Ganztagsschulen und Gesamtschulen und auch eine weitere Integration von Behinderten soll es in Niedersachsen in den nächsten Jahren „eigentlich überhaupt nicht mehr“ geben, erklärte Wernstedt zum Schuljahresbeginn. Jene Schulen, in denen die Kinder den ganzen oder zumindest den halben Tag versorgt sind, sollen eigentlich Erziehung und Berufstätigkeit der Eltern miteinander vereinbar machen. Der Verzicht auf solche Neugründungen geht vor allem zu Lasten der Frauen.

Lang ist schon jetzt die Liste, mit der Wernstedt die rechnerische Unterrichtsversorgung über die kommenden vier Jahre retten will. Da soll den Lehrern die Zeit zur Förderung einzelner schwieriger Schüler gestrichen werden. Da sieht der Kultusminister nicht mehr ein, daß in ganz Niedersachsen 14.000 Entlastungsstunden für die Arbeit in den Personalvertretungen gewährt werden. Da soll in kleineren Klassen eine Stunde weniger Unterricht gegeben werden. Erst mal drastisch gekürzt hat der Kultusminister die Mittel für sogenannte Feuerwehrlehrkräfte, die etwa zur Vertretung erkrankter Lehrer kurzfristig eingestellt werden. An Gymnasien und Gesamtschulen steht in den Klassen neun und zehn eine Stunde weniger Unterricht zur Debatte. Zudem will sich das Land aus der Trägerschaft von Internatsgymnasien zurückziehen und sozialen Einrichtungen wie der Arbeiterwohlfahrt oder der Caritas die Mittel für die nachmittägliche Hausaufgabenhilfe streichen.

Natürlich hilft dem ehemaligen GEW-Mitglied Rolf Wernstedt bei der Bewältigung der steigenden Schülerzahlen auch jene knappe Stunde Mehrarbeit, die die Landesregierung den Pädagogen mit Beginn dieses Jahres verordnet hat. Auch den Vorschlag, künftig alle neuen Lehrer eine Besoldungsgruppe niedriger einzustufen, würde der niedersächsische Kultusminister mittragen. Eine solche Änderung der Lehrerbesoldung kann allerdings nur bundesweit in Kraft treten.

Empfindlich reagiert der Kultusminister auf die Kritik der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die er im Streit um die Verlängerung der Lehrerarbeitszeit verlassen hat: „Wer, wenn irgend etwas schlechter wird, gleich von Bildungskatastrophe redet, der hat doch einen Hau, der kennt die gesellschaftliche Situation nicht“, sagt Wernstedt mit Blick auf letztlich aus der deutschen Einheit resultierende Finanzprobleme der Länder. „Die kommenden Jahre sind die eigentliche Bewährungsprobe nicht nur der Schul-, sondern der Landespolitik insgesamt“, meint er pessimistisch. Die Bewährungsprobe für Wernstedt selbst steht schon dieser Tage an, wenn die niedersächsische SPD- Fraktion über Schröders Forderung nach einem generellen Einstellungsstopp im Landesdienst diskutiert. „Mit meiner Stimme kann man einen generellen Einstellungstopp nicht machen“, drohte der Kultusminister in der vergangenen Woche indirekt mit Rücktritt. Seine bisherigen Sparvorschläge schonen im übrigen auch nicht die einstigen Lieblingskinder der SPD, die Gesamtschulen. Allen Gesamtschulen sollen die Zulagen für Fachbereichs- und Jahrgangsleiter rigoros gekürzt werden.

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