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Nichts außer weißen Wänden

Ein intellektuelles Experiment der Bild- hauerin Magdalena Jetelova  ■ Von Petra Welzel

Orte der Kunst nennt sich eine Ausstellung in Hannover, die sich schwerfällig darum bemüht, den Kunstbetrieb als solchen – zum Gegenstand von Kunstwerken erstarrt – museumsreif und reflektierend zu präsentieren. Was im Sprengel-Museum am wenigsten gelingt, eine Auseinandersetzung mit den Wegen und Orten von Kunstobjekten anzuregen, das erreicht nur etwa 2,5 Kilometer entfernt im Kunstverein eine scheinbar minimalistische Verformung der dortigen vier Wände.

Die tschechische Bildhauerin Magdalena Jetelova nennt ihre im Kunstverein zu sehende oder besser zu begehende Installation „Translocation“, den verrückten Ort. Ausgehend vom Mittelpunkt des neogotischen Ziegelsteingebäudes, in dem sich der Kunstverein befindet, hat sie seine Ausstellungsfläche um 90 Grad gedreht. Der eigene Ort von Kunst, der „White Cube“, der weiße Ausstellungsraum, ist nun selbst das Kunstwerk. „Kunst am Bau“, mag man denken, wenn man den ersten und fast dunklen Raum betritt. In ihm befindet sich die einzige sichtbar nach innen gedrehte Wand. Nur mit einer Säge sind die Umrisse der drei Fenster der tatsächlichen Außenwand angeschnitten worden. Der bräunlich-rote Ziegelstaub des Mauerwerks scheint wie ein abstraktes Ornament als Zeichen des Arbeitsprozesses zurückgeblieben. Ein wenig Licht fällt durch die schmalen Sägeschlitze ein.

Vorsichtig beginnt man zu fühlen und zu klopfen, denn alle weiteren Räume haben ihre ursprünglich rechtwinklige und klare Struktur verloren. Die Wände sind sich näher gerückt, die Räume haben sich verengt. Es gibt nur noch stumpfe und spitze Winkel. Nichts funktioniert mehr nach der gewohnten Wahrnehmung.

Die Geräusche, die man verursacht, werden von einer computergesteuerten Akustikanlage aufgezeichnet und einem zeitversetzt als Echo hinterhergeschickt. Vom mehr oder weniger bedeutungsschweren Kunstballast befreit, sind die Ausstellungswände und -räume Gegenstand ihrer eigenen Inszenierung. Fragen nach ihrem tieferen Sinn stellen sich nicht unmittelbar. Wenn man schließlich seine Runde beendet hat, bleibt eine angenehme Leichtigkeit und Leere im Kopf. Erst später überlegt man, was ein solches Museum, das keine Kunstobjekte mehr nötig hat, eigentlich bedeuten mag.

Magdalena Jetelova ist seit ihrer Übersiedlung in den Westen 1985 eine der prominentesten Künstlerinnen in Europa und den USA. 1987 nahm sie an der documenta 8 teil, seit 1990 ist sie Professorin an der Kunstakademie in Düsseldorf. Bekannt wurdet sie duch riesige Holzskulpturen, mit denen sie Gegenstände wie einen Stuhl oder einen Tisch, Treppen und ähnliches zu scheinbar unverrückbaren Kultobjekten monumentalisierte. Doch nicht alle ihre Werke sind derartige Sinnbilder von Unvergänglichkeit und Standfestigkeit. Es gibt auch sogenannte „Übergänge“, gedrehte, treppenartige, massive Rampen auf wackeligen und dünnen Stelzen, die unter der Last zusammenzubrechen drohen. Bei ihrer Prager „Häuser-Aktion mit Rauch“ 1984 scheinen fragile Häuserkonstruktionen zu verbrennen. Die Vergänglichkeit und Auslöschung schützender Wände war das Thema. Und schon einmal hat die Künstlerin direkt in einen Kunstraum eingegriffen. 1992 ließ sie im Österreichischen Museum für angewandte Kunst eine Pyramide aus rotem Sand vom Lichthof des Gebäudes bis zur Galerie hinauf aufschütten. Angesichts dieser direkten Aktion erklärte Magdalena Jetelova: „Ich benütze deutliche Formen, versuche klare, einfache Lösungen zu finden, präzise zu arbeiten und mit diese Präzision die monumentale Form ad absurdum zu führen, die Macht und Brutalität, der wir begegnen, zu hinterfragen. Indem ich das Verhältnis von Raum und Objekt verändere, kommt es zu einer Neudefinition des Raumes – das Thema ist eine Art Vermenschlichung der Architektur.“

Ein Objekt wie die rote Pyramide gibt es in Hannover nicht mehr zu sehen. Lediglich der Rest von Ziegelstaub weist auf den künstlichen Eingriff in den Raum. Bei der Verarbeitung von 25 Tonnen Holz und Stein scheint es andererseits grotesk, von einer äußersten Vereinfachung der eingesetzten Mittel zu sprechen. Dennoch hat Magdalena Jetelova mit der Neudefinition der Räume im Kunstverein die Möglichkeit der Reduzierung ihrer künstlichen Sprache auf die Spitze getrieben. Ein wenig erinnert ihr umgearbeiteter Raum daher auch an Kasimir Malewitschs weißes Quadrat auf weißem Grund, anläßlich dessen Ausstellung 1922 in Berlin der Kunstkritiker Paul Westheim zu dem Schluß kam: „Auf einer weißen Grundfläche steht nur noch Weiß. Die ,Vereinfachung‘ ist so weit getrieben, daß in dem weißen Rahmen nichts mehr verbleibt als leeres weißes Feld. Weiter kann man allerdings solch intellektuelles Experiment nicht treiben.“

An Malewitschs Werk schieden sich die Geister. Von vielen AusstellungsbesucherInnen wurde es entsetzt mit vernichtender Kritik gestraft. Magdalena Jetelovas Experiment nun bewegt sich am Rande der Provokation. Um es mit den Worten ihres Landsmannes Milan Kundera zu sagen, versucht ihr verrückter Ort ein ähnliches Paradoxon wie das der unerträglichen Leichtigkeit des Seins zu lösen – aber das ist nicht gerade wenig.

Kunstverein Hannover, Sophienstr. 2; Di., M.i, Fr.–So.: 11–18 Uhr, Do.: 13–23 Uhr; noch bis zum 11. September 1994. 1995 erscheint im Cantz-Verlag eine umfassende Dokumentation der Arbeiten Magdalena Jetelovas.

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