piwik no script img

„Zwei Ossis – zwei linke noch dazu“

Stefan Heym für die PDS, Wolfgang Thierse für die SPD konkurrieren um das Direktmandat Prenzlauer Berg / Jetzt trafen sie sich zum ersten und wohl einzigen öffentlichen Rededuell  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Der alte Mann läßt Milde walten. Doch seiner demonstrativen Altersweisheit ist eine gute Portion Eitelkeit beigemengt. Stefan Heym, Jahrgang 1913 und angetreten, als parteiloser Direktkandidat für die PDS ein Bundestagsmandat zu holen, nimmt den dreißig Jahre jüngeren Kontrahenten mal kurz unter seine Fittiche: Der Wolfgang Thierse, ja der zähle unter den Sozialdemokraten noch zu den wenigen „Einsichtigeren“. Heym verspricht bedächtigen Umgang miteinander. Das „Schauspiel“ werde es mit ihm nicht geben, „daß sich hier zwei Ossis, zwei linke noch dazu, an die Gurgel gehen“.

Der so Vereinnahmte tut sich schwer mit Gegenwehr. Ein wenig spröde hält der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse dem Fels von Literaten sein „ganz normales Selbstbewußtsein“ entgegen, das jedoch, „wie ich heute abend merke, etwas geringer ist als das von Stefan Heym“. Beide sitzen sie am Dienstagabend auf dem Podium, beide hat Moderator und Herausgeber der Berliner Zeitung, Erich Böhme, als „Anti-Konformisten“ vorgestellt, beide haben sie die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums. Es ist das erste öffentliche Diskussionsduell der beiden Direktkandidaten.

750 Plätze faßt der Saal am Sitz der Zeitung am Alexanderplatz. Es ist rammelvoll, die Menschen haben zum Teil mehrere Stunden angestanden. Das Prestigeduell wird auch auf die Straße übertragen. Hunderte verfolgen auf dem Bürgersteig die Rhetorikschlacht.

Auftritt Heym: „Ich kandidiere, weil ich dieses Direktmandat haben will!“ Der Wahlkreis Berlin- Mitte/-Prenzlauer Berg, das ist für ihn der „entscheidende“. Es geht um das dritte Direktmandat, das der PDS den Einzug in den Bundestag sichern soll, falls Gysis Truppe an der Fünfprozenthürde scheitert. Die PDS, das ist für Heym die einzige Partei, „die die Bürger der neuen östlichen Länder der Bundesrepublik Deutschland vertreten kann und wird“. Sein Engagement erklärt er auch damit, daß er sich hundert Prozent sicher sei, die PDS werde „nicht für Herrn Kohl stimmen“. Überhaupt ist das tragende Argument Heyms, daß der Kanzler weg muß. Und: „Kohl kippen, das können wir nur zusammen.“ An die Adresse Thierses gerichtet soll das heißen: „Sie brauchen die zwanzig Prozent Stimmen, die die PDS im Osten auf sich vereint.“ Thierse wägt und warnt. Das vorgetragene PDS-Angebot weist er schroff zurück: „Gysi und Heym wissen, daß das Gegenteil“ des Behaupteten eintreten würde. Der Einzug der PDS in den Bundestag „befördert den Regierungswechsel nicht“, die Präsenz der einstigen Kommunisten würde einen Bonner Wechsel eher behindern. Eine Minderheitenregierung in Bonn am Tropf der PDS? Das ist für Thierse ein „unverantwortliches politisches Abenteuer“, eine Konstellation, die den „Verlust der Chance auf Reformpoltik“ beinhaltet. Eine rechnerische Regierungsmehrheit zwar, aber eine, die keine „gestalterische Mehrheit“ gewinnen könne. Deshalb kämpfe er „für Mehrheiten jenseits von Kohl und jenseits von Gysi“.

Einen Gesprächskreis will der Schriftsteller am Prenzlauer Berg einrichten, mit Beteiligung von Unternehmern. Arbeitsplätze vor Ort sollen dort verabredet werden. Und sollte er in den Bundestag einziehen, dann will er dort in ähnlicher Form vorgehen, will sehen, „was ich dann machen werde“. Einer Besucherin ist das zuwenig, sie will konkrete Positionen des alten Mannes hören. Der weist sie harsch zurück: „Ich habe Ziele, und die sind richtig. Ich werde sie auch nennen, aber ich habe sie heute nicht dabei.“ Es ist einer der wenigen Augenblicke, in denen Heym in Bedrängnis gerät, er kramt verlegen in den Unterlagen – Thierse überbrückt und referiert das sozialdemokratische Sofortprogramm. Als Thierse endet, bescheidet Heym höflich, dies alles könne auch er unterschreiben, allein, er wolle ein „bißchen mehr“. Wie um das zu beweisen, verliest er dann Passagen aus dem mittlerweile hervorgekramten PDS-Programm.

Thierse gegen Heym, das ist die personifizierte Auseinandersetzung zwischen SPD und PDS. Der eine will in den Bundestag, um das politische „Gravitationsfeld nach links zu bringen“, der andere mag vorerst nicht vergessen, daß die Sozialdemokratie von der PDS-Vorgängerin SED als „Hauptfeind“ bekämpft wurde. Persönlich schätzen sich die beiden dennoch. Und am Ende offenbart der parteilose Kandidat, er habe „natürlich mal überlegt, soll ich bei der SPD anklopfen?“. Die SPD sei aber nicht mehr die, die er von früher kenne. Thierses Konter: „Er kennt die SPD ebensowenig wie die PDS.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen