: Im Lande Stolpes, im Lande Biedenkopfs
■ Brandenburg und Sachsen nach den Landtagswahlen: Die strahlenden Sieger wollen den Rückenwind auf dem Weg nach Bonn nützen, die Verlierer entdecken keinen bundespolitischen Trend
Potsdam/Dresden (taz) – In Potsdam wurde gestern umgeflaggt. Statt Stolpe für Brandenburg versprechen die Plakate der SPD jetzt sichere Renten, statt sicherer Arbeitsplätze strahlt jetzt in Potsdam ein sprachloser Helmut Kohl. Im Landtag suchten die Parteien nach Gründen und Erklärungen für Sieg und Niederlage. Und natürlich prägte der Blick auf den 16. Oktober die Wahlanalyse aller Parteien. Die Gewinner wollen den Rückenwind auf dem Weg nach Bonn nützen, die Verlierer konnten in dem Brandenburger Ergebnis keinen bundespolitischen Trend entdecken.
Als strahlende Sieger traten der Landesvorsitzende der brandenburgischen SPD, Steffen Reiche, und der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Birthler vor die Journalisten. Genießen wollte die Brandenburger SPD-Spitze ihren Sieg und blockte alle Diskussionen um die neu zu vergebenden Ministerposten konsequent ab. Die Minister wählt Manfred Stolpe aus, und der verweilte gestern zum Rapport in Bonn. Aber natürlich wurden unterschiedliche Interessen deutlich. Steffen Reiche plädierte dafür, aus der Partei geeignete Kandidaten auszuwählen, um die Fraktion enger an die Partei zu binden. Schließlich hat die SPD in Brandenburg alle Direktmandate gewonnen, doch der Ministerpräsident Manfred Stolpe hatte bereits am Sonntag angekündigt, er wolle parteiunabhängige Kompetenz ins Kabinett berufen.
58 Stimmen fehlten der PDS, um an der Union vorbeizuziehen, beide Parteien liegen aber mit 18,7 Prozent der Stimmen quasi gleich auf. Davon abgesehen war auch die PDS gestern rundum zufrieden. Immerhin, so Lothar Bisky, könne sie sich nach quälenden Tolerierungsdiskussionen nun wieder auf das konzentrieren, was ihr am besten liegt: die Opposition.
Kurz war der Auftritt der CDU. Der Landesgeschäftsführer Thomas Klein kündigte an, die CDU werde jetzt endlich mit der „klaren Oppositionsarbeit“ beginnen und verkündete, der Spitzenkandidat der CDU, Peter Wagner, werde neuer Fraktionsvorsitzender. Jedes Kommentars enthielt sich Klein zu Peter-Michael Diestel, der sein angestrebtes Direktmandat nicht erreichte.
Über die „Republikaner“, die in Brandenburg lediglich 1,1 Prozent erzielten, verlor am Tag danach niemand mehr ein Wort.
Politikabstinenz auch in Biedenkopfs Sachsen
Zwei Parteien, Bündnis 90/ Grüne und SPD, haben in Sachsen Reformen versprochen und mit ausgefeilten Regierungsprogrammen geworben. Beide wurden mit Nichtachtung durch die WählerInnen gestraft. Stimmen bekam die CDU für ihre Friedensbotschaft „Klare Verhältnisse“ und die PDS für ihr Angebot „fundamentaler Opposition“. Stimmen gewonnen hat allein die PDS.
58,1 Prozent für die Union. Das sind fast 20 Prozent mehr als zu den Europawahlen und 3,7 Prozent über dem Landtagswahlergebnis 1990. Die absoluten Zahlen lassen dieses Ergebnis jedoch in einem anderen Licht erscheinen. Gegenüber 1990 verlor die Union 234.382 Stimmen! Eine katastrophale Wahlbeteiligung von 55 Prozent und anhaltende Abwanderung aus Biedenkopf-Land verringerten drastisch die Zahl der WählerInnen. 1,5 Millionen Sachsen verzichteten am Sonntag auf den Urnengang. Das ist Bundesrekord in Politikabstinenz. Die SPD büßte gegenüber der Europawahl 4,4 Prozent ein. Zugelegt hat die PDS. 6,3 Prozent mehr als 1990, damit bestätigte sie ihr Ergebnis bei den Wahlen zum Europaparlament. Neben den Bündnisgrünen (4,1 Prozent) müssen sich die Freien Demokraten aus dem Parlament verabschieden. Ihre fast unsichtbaren 1,7 Prozent sind nur noch die Hälfte des Europawahlhäppchens.
Um 120 Landtagssitze hatten sich 638 KandidatInnen von neun Parteien beworben. Sämtliche 60 Direktmandate fielen der CDU zu. Sie sitzt im neuen Landtag mit 77 Abgeordneten. Nur drei Stimmen fehlen ihr zur verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit. 21 Sitze hat die PDS, einen mehr haben die Sozialdemokraten. Kommentar der Bundestagskandidatin von Bündnis 90/ Die Grünen, Antje Rasch: „Das wird der langweiligste Landtag in der gesamten Bundesrepublik.“ Christoph Seils/Detlef Krell
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