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Yuppie-TV

■ "Das wahre Leben" ist, was es ist: lebloses Designer-Fernsehen

Natürlich wurde das Graffiti erst eigens für den Vorspann auf die Berliner Mauer gesprayt. Natürlich sind die Möbel des Lofts, in dem Ralph die nächsten drei Monate wohnen wird, aus den umliegenden Designerstudios zusammengeliehen. Und natürlich wird es schon in der nächsten Folge Zoff geben zwischen ihm, der „Halbseidenes“ nicht ausstehen kann, und Adriano, der schwul ist.

„Das wahre Leben“ sei selbstverständlich kein Reality-TV, wußte Produzent Marcus Peichl (Wiener und Tempo) schon, als die siebenköpfige Besetzung der Berliner Loft-WG noch zusammengecastet wurde. Nichts ist echt im „wahren Leben“. Natürlich.

Am Samstag machte uns premiere nun also bekannt mit den sieben Protagonisten des „wahren Lebens“. Drei Monate lang lebten sie in der mit Designermöbeln hergerichteten Fabriketage, die in Wirklichkeit viel größer ist, als sie den Youngsters erscheint: Dort, wo ein großer Spiegel die Sorgen und Nöte der „Generation X“, der 18 bis 20jährigen vermeintlich widerspiegelt, geht das Leben nämlich weiter: 70 Mitarbeiter beobachten in den Studios hinter dem Einwegspiegel das Treiben ihrer Versuchskaninchen. Zu unserem TV-Amüsement wird dort rund um die Uhr Wache geschoben. Auf daß man nichts verpasse von dem, was hier als Leben verkauft wird.

Die Idee ist nicht neu, sie kommt – wie das neudeutsche Wort „Loft“ – aus Amerika. MTV hatte mit der Trash-Produktion „The real world“ unerwartet Furore gemacht. Ohne Drehbuch ließ man sieben ausgewählte Kids drei Monate aufeinander los. Nachträglich zu kurzen Sinneinheiten zusammengebaut, entwickelte sich der Plot erst nach dem Dreh. Was der Dreh war.

Auch Peichls Helden ist klar, daß sie hier Wirklichkeit imaginieren sollen. „Mal herausfinden, wie es ist, wenn man sich nicht verstellt“, wollen sie in den nächsten drei Monaten, und denken die Inszenierung dabei gleich mit. Kaum einer, der nicht an die Vermarktung seiner Popularität denkt. Erci will ins Musikbusineß, Ralph ist Male-model, Adriano Journalist ...

Das Verhältnis von Inszenierung und Wirklichkeit beschäftigt das Alltagsmedium Fernsehen immer wieder. Anders als im Kino, das vor allem der künstlerischen Modulation von Wirklichkeit verpflichtet ist, scheint das Fernsehen in seinen Inhalten (den „echten“ Nachrichten, den „wahren“ Begebenheiten) und mit seiner Präsentation (den alltäglichen Echtzeitansprachen „Guten Abend, meine Damen und Herren) wahrhaft alltäglich. Echte Zuschauer spielen in echten Spielshows um echte Preise. Richtige Wetterkarten prognostizieren uns richtig schlechtes Wetter, und tatsächliche Politiker machen tatsächlich Wahlkampf.

Schon einmal hat das Fernsehen versucht, diesen Wahrhaftigkeitseindruck – dieses Vice-versa von Rezipienten und Produzenten – auf die Spitze zu treiben: die WDR-Regisseurin Ute Dietl porträtierte in ihrer „wahren Familienserie“ „Die Fußbroichs“ den Alltag einer Kölner Arbeiterfamilie. Mal fuhr sie mit ihnen zu Ikea, mal kam sie zu Freds Geburtstag oder folgte Frank ins Bodybuilding-Studio. Heraus kam eine Peichls „wahrem Leben“ ganz ähnliche Folge von Alltagssituationen. Man sieht Fred vor dem Fernseher oder Annemie mit Grippe auf dem Sofa. Sohn Frank beim Autokauf oder Schwiegertochter Pia beim Kochen. Und doch haben die Fußbroichs Ralph und Adriano etwas Entscheidendes voraus. Sie dürfen ihre Inszenierung selbst betreiben: Es ist ihr eigenes Sofa, ihr eigenes Auto. Die Fußbroichs leben eben wirklich.

Die sieben Helden aus dem „wahren Leben“ dagegen leben nur drei inszenierte Monate lang in einem inszenierten Loft. Und so fühlen sie sich in ihrer künstlichen Fabrikwelt auch seltsam unwirklich. Am liebsten hätte er gleich alle seine Freunde eingeladen, erzählt Adriano, und ihnen gezeigt, wie schick er jetzt wohnt.

Aber gemacht hat er es dann doch nicht. Natürlich nicht. Es wäre ja auch irgendwie gelogen. Klaudia Brunst

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