■ Interview mit der Künstlerin Rita Duffy (35) aus Belfast Langsam werden die Menschen hinter der Politik sichtbar: „Das ist der Quantensprung“
taz: Glauben Sie daran, daß der Waffenstillstand, den die IRA vor gut zwei Wochen verkündet hat, diesmal hält?
Rita Duffy: Der Waffenstillstand ist wunderbar, und ich bin davon überzeugt, daß er halten wird. Allerdings bin ich nicht so naiv zu glauben, daß jetzt alles vorbei ist. Die Menschen müssen den Frieden wirklich wollen. Es sind Riesenschritte notwendig, besonders bei bestimmten politischen Gruppierungen.
Meinen Sie die paramilitärischen Organisationen?
Ich denke an die Loyalisten und Unionisten. Neulich sagte jemand im Radio, daß sich die Menschen in den loyalistischen Arbeitervierteln über den IRA-Waffenstillstand freuen, doch ihre Politiker, die allesamt aus der Mittelschicht stammen, reden von Unheil, Verdammnis, Bedrohung und Angst. Das ist merkwürdig, wenn man bedenkt, daß doch die Arbeiterklasse am meisten unter dem Konflikt gelitten hat.
Hat es Sie überrascht, daß die IRA einen Waffenstillstand erklärt hat?
Ich fand, daß schon seit Weihnachten eine allgemeine Atmosphäre von Optimismus und Hoffnung geherrscht hat. Ich bin allerdings von Natur aus optimistisch – das muß man wohl auch sein, wenn man in Belfast lebt. Die Waffenruhe ist der Quantensprung, der notwendig war. Natürlich müssen wir nun auch nach neuen Ideen und Möglichkeiten suchen, die traditionellen Symbole und Schubladen nützen uns in Zukunft nichts mehr. Wir müssen neue Vorstellungen von Identität entwickeln, die uns weiterbringen. Die Identitätsfrage ist hier so wichtig, weil sie sich seit fast dreihundert Jahren im Fließzustand befindet. Wir beide würden doch über ganz andere Dinge reden, wenn ich Französin oder Italienerin wäre, weil sich die Identitätsfrage gar nicht stellen würde.
Haben Sie irgendwelche Veränderungen – nicht unbedingt politischer Natur – seit dem Waffenstillstand wahrgenommen?
Ich bin mit meinen Vater am ersten Tag des Waffenstillstands zur Falls Road (Anm.: katholisches Arbeiterviertel in West-Belfast, d.Red.) gefahren. Er stammt aus der Gegend, er ist der Typ des unterwürfigen nordirischen Katholiken, der nie den Zorn der Protestanten erwecken will. Wie oft ist er bei der Vergabe von Jobs übergangen worden, ohne sich darüber aufzuregen, weil er doch nichts ändern konnte, wie er meinte. Er wäre sogar bereit gewesen, seine irische Identität aufzugeben, wenn das von ihm verlangt worden wäre.
Ich bin da ganz anders – ebenso wie die Leute von der Falls Road, die seit 25 Jahren die Probleme vor ihrer Haustür haben. Deshalb hat es mir besonderes Vergnügen bereitet, auf dem Nachhauseweg von der Innenstadt den kleinen Umweg über die Falls Road zu machen. Die Menschen waren sehr fröhlich, haben gelacht und gefeiert. Es war schon komisch: Da war mein Vater mit seinen 82 Jahren, und die politische Situation hat ihm sein ganzes Leben lang nur zum Nachteil gereicht. Aber ich glaube, daß es für die neue Generation Hoffnung gibt. Ich war danach sehr aufgewühlt, hatte das Gefühl, daß sich etwas Großes bewegt hat. Es hat fünfzig Jahre gedauert, aber wir sind endlich auf dem Weg.
Welche Rolle spielen die „troubles“, wie alle hier zu den Auseinandersetzungen sagen, bei Ihrer Arbeit?
Das läßt sich am besten so erklären: Meine Arbeit ist persönlich, sie ist emotional. Als ich auf die Kunsthochschule ging, fehlte mir zu abstrakten Arbeiten jedes Verhältnis. Ich bin zur Kunst wie eine naive, fast primitive Malerin gekommen – oder vielleicht auch als Erzählerin. In Irland gibt es eine große erzählerische Tradition. Meine Bilder erzählen Geschichten, ich webe praktisch einen Handlungsrahmen herum, ohne daß ich Illustratorin wäre. 1989 habe ich meine bisher größte Ausstellung zusammengestellt. Es waren sehr wütende Bilder, dunkle Bilder voller Gewalt. Mit anderen Worten: Ja, ich habe mich damals mit den troubles beschäftigt. Aber ich hoffe, daß ich es aus einem persönlichen Blickwinkel getan habe. Seit knapp zwei Jahren hat sich meine Arbeit viel mehr in Richtung persönlicher Politik entwickelt. Ich beschäftige mich damit, wie ich aufgewachsen bin, wie ich mich hier in Belfast gefühlt habe. Meine Mutter ist aus dem Süden, mein Vater von der Falls, wir haben in einem protestantischen Arbeiterviertel gewohnt. Wir waren deshalb nie Teil der Gemeinschaft, ich war immer eine Außenseiterin. Für eine Künstlerin ist das vielleicht ganz gut. Ich versuche, meine Erfahrungen als Kind neu zu bewerten, ja, mich neu zu definieren. Das müßte auch auf nationaler Ebene geschehen.
Was war vor zwei Jahren der Anlaß dafür, daß Sie sich in Ihrer Arbeit neu orientiert haben?
Ich habe damals begonnen, als „Gemeinde-Künstlerin“ zu arbeiten. Ich habe vor Ort verschiedene künstlerische Projekte betreut. In Belfast kann man gut arbeiten, aber schlecht ausstellen, weil man dann irgendwann die Mittelklasse- Vorstellung übernimmt und Kunst macht, um sie zu verkaufen. Das hat zwar den Vorteil, daß man weiterarbeiten kann, aber nach einer Weile merkt man, daß man immer nur dieselben Leute erreicht. Mir ist es sehr wichtig, daß Kunst mehr Relevanz hat. Sie hat potentiell die Kraft, zu heilen, sie erweckt neue Ideen und neue Dinge zum Leben. Genau das ist in Nordirland vonnöten. Bei der Betreuung der Projekte habe ich viele Ideen gesammelt, und langsam kristallisierte sich für mich heraus, daß ich mich mit meiner Kindheit und dem Prozeß des Erwachsenwerdens in Belfast beschäftigen mußte.
Die „troubles“ spielen in der nordirischen Kunst insgesamt eine ziemlich große Rolle. Was kommt jetzt?
Ich bin davon überzeugt, daß die Lösung im wirtschaftlichen Bereich liegt. Der Schiffbau und die anderen, traditionellen Industrien sind untergegangen. Wenn man die Unionisten von einer Lösung überzeugen könnte, die für sie keine finanziellen Nachteile, sondern sogar Verbesserungen bringt, werden sie das Land doch nicht kaputtschlagen. Sie werden sich nicht ihr Haus über dem Kopf anzünden. Die Katholiken haben ohnehin nichts zu verlieren, nachdem sie so lange angeschissen worden sind. Nordirland steht jetzt im Blickpunkt der Welt. Und eine Sache, die die Leute interessiert, ist die Kultur. Das wird der Kunst äußerst guttun, sie wird regelrecht aufblühen.
Sie meinen also, daß sich das Interesse des Auslands verlagern wird – hin zur Kultur?
Ja, genau, die Menschen werden langsam hinter der Politik sichtbar. Die troubles sind das alles überlagernde Bild, das sich das Ausland von Nordirland gemacht hat. Mich hat jedoch schon immer das persönliche Leid mehr bewegt, das hinter einem Bombenanschlag oder einer Schießerei verborgen ist. Es gibt überall in der Welt Parallelen.
Haben Sie irgendwelche neuen Projekte ins Auge gefaßt?
Ich habe die Idee, die Friedenslinie, die das protestantische und katholische West-Belfast teilt, von Künstern bemalen zu lassen. Belfast feiert im Jahr 2000 sein tausendjähriges Bestehen. Es gibt dafür Lottogelder, fünf Millionen Pfund für die Künste. Ich will für dieses Projekt einen Antrag stellen: Kunst auf der Friedenslinie.
Wie, glauben Sie, wird Nordirland in zehn Jahren aussehen?
Entmilitarisiert, weniger Armut und Zerfall in den Ghettos, mehr Jobs für einfache Leute. Vielleicht mündet ein Teil der Hoffnung, der jetzt herumschwirrt, in konkrete Projekte. Vielleicht entwickelt sich ein Sinn für Kooperation, für Fairness, für einen gemeinsamen Schritt nach vorn. Was wird sonst noch geschehen? Unsere Umwelt ist sehr sauber, hoffentlich bleibt das so. Es wäre wünschenswert, wenn die Schulen bis dahin integriert sind. Es kann so viel passieren. Alles kann passieren. Es gibt viele Unheilsboten, aber die sagen Unheil voraus, weil es in ihrem Interesse liegt, daß Leute Angst haben und sich in ihre Ecken zurückziehen. Die Menschen müssen jetzt Mut aufbringen.
Sie meinen, die Menschen müssen lernen, ihren Feinden zu vertrauen?
Im Radio hat vor kurzem ein Mann aus Derry gesprochen, der in den siebziger Jahren zwei Söhne durch den Konflikt verloren hat. Er sagte, er sei darüber nicht mehr verbittert. Er könne nicht mehr für die Wut und die Trauer darüber leben, aber er könne für die Hoffnung leben, daß seine Enkelkinder, die in den 80ern geboren sind, eine bessere Zukunft haben. Das war ein wunderbarer Satz. Wenn Menschen wie er so etwas sagen können, dann gibt es Hoffnung.
Die Leute reden von Bosnien und anderen furchtbaren Szenarien. Vor zwei Jahren hieß es, dasselbe könnte hier passieren – als ob die Leute nur darauf warteten. Ich habe keine Lust, Probleme herbeizureden. Das ist Sache der gottesfürchtigen Presbyterianer und der gottesfürchtigen nordirischen Katholiken. Angst und Furcht hat sehr viel mit Religion zu tun. Vielleicht sollten wir alle Kirchen schließen, alle Religionen abschaffen und statt dessen eine persönliche Spiritualität entwickeln. Das möchte ich in zehn Jahren sehen. Interview: Ralf Sotscheck, Belfast
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