: Bundeswehrsoldaten sind ... Mmmpf
■ Der Aufkleber "Soldaten sind Mörder" ist nach der gestern veröffentlichten Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts gestattet, weil es "nahezu ausgeschlossen" sei, daß man Tucholskys Satz "in ...
Der Aufkleber „Soldaten sind Mörder“ ist nach der gestern veröffentlichten Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts gestattet, weil es „nahezu ausgeschlossen“ sei, daß man Tucholskys Satz „in dem Sinn verstehen konnte, die Soldaten der Bundeswehr würden der Begehung von Mordtaten beschuldigt“ / Was darf man jetzt sagen und was nicht?
Bundeswehrsoldaten sind ... Mmmpf
„Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder“, schrieb Kurt Tucholsky 1931 in der Weltbühne. Sechzig Jahre später brachte ein diplomierter Sozialpädagoge einen Aufkleber mit eben diesen Worten „Soldaten sind Mörder“ an seinem Fahrzeug an – unter dem Zitat die faksimilierte Unterschrift Kurt Tucholskys. Dafür wurde er dann vom Amtsgericht wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstafe von einhundertzwanzig Tagen zu je siebzig Mark verurteilt, das Landgericht wies seine Berufung zurück.
Seine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht hat er auf die Meinungsfreiheit gestützt und erhielt recht. Die Begründung der Verfassungsrichter ist schlicht. Sie machen das, was gute Juristen tun: eine möglichst unideologisierte Auslegung von Begriffen und deren Subsumtion unter ein Gesetz. Maßstab für die Entscheidung der Richter war der Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Meinungsfreiheit schützt. Jeder soll sagen können, was er denkt, „selbst wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt“, urteilen die Richter. Selbst scharfe und überzogene Kritik entziehe eine Äußerung nicht dem Schutz des Grundgesetzes, und darauf, ob ein Urteil „wertvoll oder wertlos“ sei, komme es nicht an.
Ihre Grenze findet die Meinungsfreiheit unter anderem in dem Recht der „persönlichen Ehre“, aber auch in verschiedenen Gesetzen, unter anderem der Volksverhetzung. Die Auslegung einer Meinungsäußerung, so die höchsten Richter, könne nicht abstrakt, sondern müsse im Zusammenhang erfolgen. „Dazu gehört auch, daß Rechtsbegriffe, die im öffentlichen Meinungskampf verwendet werden, nicht ohne weiteres im fachlich-technischen Sinne verstanden werden dürfen.“
Mit dieser Präzisierung haben die Richter versucht, einer zu erwartenden Kritik vorzubeugen, die auch sofort nach Veröffentlichung des Urteils erfolgte. Die Feststellung nämlich, daß die Äußerung „Soldaten sind Mörder“ einfach sachlich falsch sei. In einem juristischen Sinne sind Mörder nur jene, die aus niedrigen Beweggründen, aus Habgier oder Verdunkelungsabsicht, arglistig oder grausam einem anderen Menschen das Leben nehmen. Das, wer wollte es in Frage stellen, hat mit den soldatischen Tötungen nichts zu tun.
Die Richter machen darauf aufmerksam, daß es auch einen anderen Sinngehalt der angegriffenen Formulierung gibt. Einen alltäglichen, umgangssprachlichen. Diesen Aspekt, so die Richter, hätten die vorangegangenen Instanzen nicht beachtet.
Und dann machen die Richter noch ein wenig Aufklärungsarbeit. „Es ist nahezu ausgeschlossen, daß ein durchschnittlicher Leser den Tucholsky-Aufkleber in dem Sinn verstehen konnte, die Soldaten der Bundeswehr würden der Begehung von Mordtaten beschuldigt.“ Denn selbst wenn ein Leser nicht weiß, wer Tucholsky war, nicht weiß, daß dieser bereits 1935 Selbstmord begangen hat, so weiß er doch zumindest eines: „Daß die Bundeswehr seit ihrer Gründung noch nicht an einer bewaffneten Auseinandersetzung teilgenommen hat und deshalb noch niemand durch die Soldaten der Bundeswehr im Rahmen einer kriegerischen Auseinandersetzung getötet worden ist.“
Wäre das Urteil anders ausgefallen, wenn der Aufkleber „Bundeswehrsoldaten sind Mörder“ gelautet hätte? Wahrscheinlich, denn dann wäre für die Richter das Recht der „persönlichen Ehre“ berührt gewesen, wahrscheinlich auch der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt und die Meinungsfreiheit hätte zurücktreten müssen. Auch darf man mit Sicherheit nicht davon ausgehen, daß der Streit um diese oder ähnliche Formulierungen ausgestanden wäre. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgesprochen fallbezogen argumentiert. Von einer anderen Person in einem anderen Zusammenhang geäußert, könnte selbst diese Formulierung strafwürdig sein. Auch andere Äußerungen könnten gerichtsrelevant werden, zum Beispiel wäre der Sachverhalt schon durch die kleine Hinzufügung „Alle“ maßgeblich geändert.
Die Aufregung verschiedener Parlamentarier, die eine Sondersitzung im Bundestag zum Thema durchsetzten, ist verwunderlich. „Nach diesem Urteil“, so die Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), „ist auch das Parlament gefordert, sich schützend vor die Bundeswehr zu stellen.“
Wovor hat Frau Süssmuth Angst? „Wenn wir diese generalisierende Aussage so stehenlassen, könnte man am Ende über andere Gruppen unserer Gesellschaft ähnlich diffamierende Aussagen machen.“ Die Befürchtung, die sich in dieser oder ähnlichen Äußerungen kundtut, manifestiert sich nicht zuletzt in der gerade vom Bundestag verabschiedeten Anhebung des Strafrahmens für die Leugnung der nazistischen Massenmorde auf fünf Jahre.
Im Unterschied zu Frau Süssmuth hat das Bundesverfassungsgericht das Problem richtig herausgearbeitet und die Furcht vor der Dummheit der Bürger, die sich durch jeden Unsinn verführen ließen, zurückgewiesen. Meinungsäußerungen, so die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, müsse mit Argumenten entgegengetreten werden, aber nicht mit der strafrechtlichen Sanktion. Julia Albrecht
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