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Frei von diesem Zweifel

■ Stricken an der Legende: Der Starfotograf Richard Avedon in Köln

Sein bester Freund ist die Presse alten Stils: viel Platz für Fotografien, ein langer Atem für schwierige Themen und die Treue zum Autor, dessen Bild schließlich – als Bekenntnis zu den eigenen Quellen – auf der Titelseite steht. Im Falle Richard Avedons ist dann auch dieses Bild seiner selbst von ihm selbst. Darauf sieht er dynamisch, humorlos und selbstverliebt aus, ein silbermähniger Partylöwe Mitte fünfzig.

Denkt man. Aber das Männchen, das hier in Köln die Bühne betritt, ist einundsiebzig Jahre alt, schmächtig, agil und kennt alle Register, die es braucht, um ein Publikum von vielleicht zweitausend Leuten restlos auf seine Seite zu bringen. Lichter an im Saal, er will uns sehen. Er läßt sich ein Kölsch bringen und prostet uns zu. Landet die erste rührende Anekdote von seiner deutschen Nannie ... O Tannenbaum, Licht im Saal aus, und es geht los. Drei Stunden später läßt er auch den Spot über dem Rednerpult ausgehen, als er – wörtlich – letzte Bilder seines Vaters Jacob Israel Avedon zeigt. Die Batterie von Projektoren in den Händen von fünf Assistenten versagt nicht; das allerletzte Bild erlischt wie eine Laterne.

Auf meiner Einladung, die ich von Kodak bekommen habe, heißt es im englischen Text: „An American included among the greatest living artists“, und im deutschen Text: „Viele Amerikaner würden ihn spontan unter ihre größten lebenden Künstler einreihen ...“, eine doch sehr viel bescheidenere Variante des Satzes. Im Spiegel dieser Woche durfte er sagen: „So wie andere Menschen das absolute Gehör haben, hatte ich von Anfang an einen absoluten Blick.“ (Gegenfrage der Redaktion: „Eine Art fotografisches Auge?“) Einer ostdeutschen Wochenzeitung verriet er: „Aber wenn man keine enge Beziehung zu seinem Vater hat, wird man nie richtig zum Mann.“ (Interviewerin: „Das denke ich auch.“) Man porträtiert ihn nicht, man huldigt ihm.

Als Fotograf hat Richard Avedon Ende der vierziger Jahre eine Erfindung gemacht: das schwarzweiße Porträt in hoher Auflösung vor einem gänzlich weißen Hintergrund. Um das Fotografische des weißen Raums zu zeigen, läßt er in den Vergrößerungen die schwarzen Ränder des Films – mit den Nummern und dem Markeneintrag – stehen. Die Rezeptur hat sich als universell anwendbar erwiesen: auf Künstler, Politiker, Models; bis zu einer neueren Auftragsarbeit, die Schwule und Lesben in der US Army zeigt (für den New Yorker).

Avedon plaziert in seinem Vortrag einen seltsam anmutenden Verweis auf (gemalte) Figuren von Egon Schiele, die ebenfalls auf weißem Grund stehen. Er zeigt ein Bild, das er als Schieles „Selbstporträt als Masturbierenden“ vorstellt, und behauptet, es interessiere ihn als Aussage über den „implicit eroticism in all portraiture“. Avedon beschwert sich über den melancholischen Blick des Mannes – was ihm entgeht, ist, daß wir nicht einen Mann sehen, der onanierend (ungesehen) porträtiert wird, sondern einen Mann, der sich selbst dabei ansieht und darstellt; ganz klar ein Unterfangen, das von derber Lustigkeit naturgemäß frei ist. Nicht eines von Avedons Selbstporträts hat die Glaubwürdigkeit dieses Schiele-Bildes (und anderer): Es gibt einen Rest von selbstgeneriertem Zweifel, von dem Avedon absolut frei ist.

Das hat seiner portraiture einen sichtbaren Spielraum geöffnet und zugleich ihre Reichweite abgesteckt. Avedon ist mit Sicherheit ein Prominentenfotograf, der als Quelle mittelfristig mehr hergibt als, zum Beispiel, Annie Leibowitz, das Medienwunder von vorgestern. Aber kaum eines seiner Bilder erreicht die Ungeheuerlichkeit der Porträts von Diane Arbus, die sein Jahrgang ist und die er gekannt hat.

Erst vor kurzem ist sichtbar geworden, daß Avedon es sich in jenem Haus einzurichten versucht, in dem Arbus bisher unumstritten regiert: im Haus ohne Fenster, wo Wahnsinn und Wirklichkeit sich aufs finsterste vermischen. In dem monumentalen Bildband „An Autobiographie“ (Schirmer/Mosel Verlag, 1993) hat er seine freie Porträtarbeit, seine Auftragsporträts und seine Modefotografie mit anderem Material versetzt: mit Bildern von der Straße, mit Horrorstilleben aus einer sizilianischen Katakombe und mit körnigen Reportagebildern aus einer psychiatrischen Klinik in den Südstaaten, Anfang der sechziger Jahre. Am Ende seines Vortrags richtet er nach derselben Methode großen Schaden an: Er kombiniert das Bild eines Models mit dem Porträt eines Napalm-Opfers, das er 1971 in Vietnam aufgenommen hat.

Im steten Glanz der Belanglosigkeit

Das Leben, will Richard Avedon uns sagen, ist groß, dunkel, glamourös, widersprüchlich und gefährlich, und wenn man es nur richtig anstellt, ist man am Ende überall dabeigewesen und doch auf wunderliche Weise verschont geblieben von Dämonen. Glücklicherweise hat er diese autobiographische Botschaft in seiner Kölner Ausstellung, die „Retrospective 1944–1994“ heißt, um mehrere Grade zurückgeschraubt. Die Porträts ergänzen die Porträts (in einem Raum: William Casby, der als Sklave geboren wurde, J. Robert Oppenheimer, Marilyn Monroe und Marcel Duchamp), die Straßenfotos aus New York, Rom und Palermo stehen für sich. Es handelt sich allerdings nicht um fotografische Vergrößerungen von damals – sondern um eine gigantische Suite von Bildern, deren Zusammenhang teils mit, teils gegen ihre Chronologie erzählt wird.

Die neugemachten Fotografien sind in sehr unterschiedlicher Weise ohne Verglasung präsentiert: Die frühen Bilder sind in weiße Holzrahmen geklebt, die ersten großen Porträts scheinen vor den graugestrichenen Wänden zu schweben. Und Bilder eines Gesamtberliner Silvesters sind als große Abzüge an die Wand geklebt und mit „abgenegerten“ Spots in grellen Streifen teilbeleuchtet – die Dramatik der Inszenierung kann aber die gänzliche Belanglosigkeit der mühsam ins Surreale gezogenen Reportagebilder nicht verdecken. Von den elf Räumen der Retrospektive ist jener von schlagender Kraft, der Zeitungsarbeiten um 1970 als gigantische, wandfüllende Bilder überlebensgroßer Figuren zueinanderbringt: an den Längsseiten der politische Beraterstab der kriegführenden Amerikaner in Vietnam – gegenüber die teils nackten Künstler von Warhols Factory. An den Querseiten: die in Chicago als Verschwörer verurteilten sieben Vietnamkriegsgegner (auch: Rubin, Hoffman) – gegenüber die Familie des Poeten Allen Ginsberg im Sonntagsstaat. Mehrere Fotos sind jeweils zu einem Fries montiert, zentrale Figuren im Bruch um ein befremdliches Drittel ihrer selbst in die Breite gezogen; manche wieder kommen doppelt vor. Amerikanische Sozialgeschichte als fragmentierte Super-Ikone: die Krieger als Biedermänner, die Factory als Ort des absolut Anderen, die Verschwörer als Heroen und der homosexuelle Künstler-Buddhist als prominenter Patriarch im Kreise seiner jüdischen Lieben. Dieser Avedon – damals kaum fünfzig Jahre alt – war offensichtlich angstlos, besessen, formsicher; dabei, die Modefotografie hinter sich zu lassen, die er jetzt in einer Anschlußschau nachträgt wie das Werk eines Fremden: „Fashion Work“ – weitere sechs Räume im oberen Stockwerk der Josef- Haubrich-Kunsthalle in Köln.

Als Modefotograf hat Avedon eine Entdeckung gemacht: die gesellschaftliche Seite der Mode kann ihrer Bildgeschichte zugeschlagen werden. Hunde, Elefanten und Tauben sind genauso erlaubt wie springende Divas und nackte Brüste. Er hat die Mode im Elitären gelassen, aber ihre groteske Seite als Ironie eingespiegelt. Er zeigt die alten Bilder in der Fassung der Retrospektive im Metropolitan Museum, 1978: gerahmt in Plexi, Stahl und Gold und hinter Glas. Gerade was er als Un-Kunst aus seinem retrospektiven Werk ausklammert, kommt gänzlich museal daher – eine Überraschung, zweifellos.

Den Widerspruch seines professionellen Lebens kann Richard Avedon nicht aufklären. Immer wieder sagt er, kein Foto sei genau, weil jedes Foto genau sei; ein Foto sei nie die Wahrheit, sondern immer eine Meinung. Diese Formel aber ist leer. Der Wahrheitsgrad einer Arbeit hat eben doch zu tun mit den Bedingungen, unter denen sie entsteht.

Avedons Fotografie ist zum großen Teil als Auftrag entstanden – aber auch die freie Arbeit ist nach dem Muster der Magazingeschichte erzählt. Seine Bilder leben vom Wiedererkennen. Sie sind bei weitem nicht so selbstevident wie – die Arbeiten von Andy Warhol. Dazu fehlt Richard Avedon der Zynismus, der egalisierende Blick. Natürlich gibt es die große Parabel des Fotografenlebens – aber das ist, wie der Redner Avedon uns unfreiwillig vermittelte, eine ganz andere Geschichte. Ulf Erdmann Ziegler

„Richard Avedon: Retrospective 1944–1994/Fashion Work“. Josef- Haubrich-Kunsthalle in Köln, bis zum 30. Oktober. Katalog: „Evidence 1944–1994“, Schirmer/Mosel, 49 Mark.

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