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Der Mann ist sein eigenes Programm

Im Berliner Wahlkreis Kreuzberg/Schöneberg will der Rechtsanwalt Christian Ströbele das erste Bundestagsdirektmandat für die Grünen gewinnen  ■ Ein Porträt von Bascha Mika

Der Esel heißt Piefke und ist Wahlkampfhelfer. Trense im Maul, Wolldecke auf dem Rücken, marschiert er in Berlin-Kreuzberg über den Türkenmarkt. Keinen Blick hat er für die grünen und gelben Gemüseberge, die Obstpyramiden, die Gewürzhügel und Käsehaufen. Ein langer Dünner mit Flöte und ein kleiner Dicker mit Trommel bahnen sich vor Piefkes gesenktem Kopf einen Weg zwischen den Ständen. Es wummert, schrillt, es dröhnt und kreischt, daß sich einem die Ohren einrollen. Ankündigung für die kleine Gruppe, die sich an Piefkes Fersen geheftet hat. Sie verteilt Flugblätter: „Bündnis 90/ Die Grünen. Unser Kandidat in Kreuzberg/Schöneberg: Christian Ströbele“. Eine Marktfrau sieht auf das Blatt runter, dann zum Kandidaten hoch, der gerade ihren Stand passiert. „Ist das der Mafia-Anwalt?“ schreit sie ihrer Kollegin zu.

Piefke trägt Grau, Ströbele trägt Blau, der Esel sagt nichts, der Kandidat sagt: „Ein Esel erreicht immer sein Ziel. Man muß mit der Klugheit und Sturheit eines Esels Politik machen.“ Genau das will Ströbele im 13. Deutschen Bundestag. Er ist Direktkandidat im Berliner Wahlkreis Kreuzberg/ Schöneberg. Der erste grüne Politiker, dem es gelingen könnte, ein Direktmandat zu holen. Bei der Europawahl waren die Grünen in diesem Wahlkreis den anderen Parteien eine Nasenlänge voraus (siehe Kasten). Das gibt Hoffnung. Was anderes bleibt Ströbele gar nicht übrig. Auf der Landesliste ist der Rechtsanwalt nicht abgesichert. Das wurde durch eine Doppelquote für Frauen und Bündnisgrüne verhindert. Direkt gewählt oder gar nix.

Dunkle buschige Augenbrauen, graue Prinz-Eisenherz-Fisur, tiefe Kerben im Gesicht, Siebziger-Jahre-Klamotten. „Den kenn ich doch aus'm Fernsehn“, ruft eine Frau am Tomatenstand, „der is' wohl auch so, wie Politiker eben sind: viel versprechen, nichts halten. Aber was will der hier auf'm Türkenmarkt?“ Gute Frage. Ein Alter hält Ströbele am Arm fest, brüllt ihm seine Wut über das deutsche Ausländergesetz ins Ohr. Der Kandidat hört zu, als gelte es, eine Stimme zu gewinnen. Dabei können ihn die meisten hier gar nicht wählen, weil ihnen der deutsche Paß fehlt. Trotzdem sind sie Ströbeles Klientel: Sie brauchen ihn als Anwalt und als Politiker. „Der Ströbele“, bemerkt ein junger Türke, „der is' so ganz in Ordnung, den würd' ich wählen.“

Fifty-fifty stehen die Aussichten, daß Ströbele sein Mandat gewinnt, glauben die Grünen. Wenn sich die linken Wähler nicht völlig zwischen PDS, SPD und Grünen zersplittern, hat er eine reale Chance. Doch nur in Kreuzberg/ Schöneberg könnte er die nötigen Stimmen bekommen. Die Kiezbewohner sehen ihre Szene durch gigantische Verkehrsprojekte, durch Luxussanierung und horrende Mietsteigerungen bedroht. Ströbele teilt die Kritik an der rabiaten Hauptstadtpolitik. „Milieuschutz“ würde er betreiben, unterstellte ihm darauf hämisch die FAZ.

Prompt haben die Grünen offenbar nichts Besseres zu tun, als das Vorurteil vom Suhlen im Milieu zu bestätigen – zumindest durch ihr Wahlplakat. Jede Menge kesse Typen mit flotten alternativen Sprüchen auf den Lippen tummeln sich darauf, teils wirklich komisch, teils einfach albern. Hier strahlt der umwerfende Charme der achtzigerJahre, gezeichnet von dem Karikaturisten Gerhard Seyfried. Mittendrin schwebt auf einer Wolke ein winziger Ströbele-Kopf – ein Zugeständnis an die bei den Grünen verpönte Personenwerbung. Das Ganze ist kleinteilig, geeignet eher für lange Klositzungen als für Straßenwerbung.

Doch Ströbele stört das nicht. Modetrends interessieren den Mann, der seit Jahrzehnten an Kopf und Körper im selben Look daherkommt, nicht die Bohne. Wie er so dasteht, lang, schlank, und nie so recht weiß, wo er mit seinen Armen und den nervösen Händen hin soll, ist er kein Strahlemann und kein Strampelmann. Der Mann ist sein eigenes Programm. Einwanderungsgesetz und doppelte Staatsbürgerschaft, Abschaffung der Geheimdienste und der Bundeswehr, Ausstieg aus der Atomindustrie und Kampf gegen rassistische Gewalt – das alles findet sich auch als Essentials bei den Grünen. Doch wo die Grünen ideologischer Sandstein sind und Radikalität gegen Pragmatismus getauscht haben, ist Ströbele Granit geblieben. „Natürlich bin ich ein Linker“, verkündet er mit genügend Pathos, um jedem Realo Tränen der Verzweiflung in die Augen zu treiben. „Links sein bedeutet für mich, sich dafür einzusetzen, daß gesellschaftliche und ökonomische Unterdrückung beendet werden, vor allem auch in der Dritten Welt.“ Schlichte Worte. Ein großartiger Theoretiker ist er wahrlich nicht.

Ein unverbesserlicher Anachronist, sagen die einen. Ein aufrechter Linker, sagen die anderen. „Die Ungerechtigkeit und Ausbeutung auf der Welt“, sagt Christian Ströbele, „hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht grundlegend verändert. Deshalb vertrete ich im Prinzip dasselbe wie vor zwanzig Jahren. Und finde es immer noch richtig.“ Im Gegensatz zu Bert Brechts Herrn K. würde er nicht erbleichen, wenn man ihn mit den Worten begrüßte: Sie haben sich gar nicht verändert. Er nähme es ganz selbstverständlich als Kompliment.

Piefke bockt, die Musik dudelt, Ströbele lächelt breit. Eitel genug ist er, um das Bad in der Menge zu genießen. Und er verkauft sich nicht schlecht: Herzlichkeit in angenehmen Dosen, der Blick gebührend offen und freundlich. Das Ganze wirkt auch noch echt – und ist es wohl auch. Bei jeder Aufmunterung, bei jedem Schulterklopfen grinst er wie ein kleiner Junge. Überhaupt kommen seine unmittelbaren Gefühlsäußerungen oft kindlich daher: Trotzig und störrisch wird er, wenn er sich ärgert, spontan und heftig in seiner Begeisterung, lausbubenhaft, manchmal albern, wenn er sich freut.

Kein Mann der Selbstkritik. Stur? Ganz sicher. Unbelehrbar? „Ich hoffe nicht, kann mir aber vorstellen, daß es einige von mir sagen würden.“ Vielleicht wird einer so, wenn er seine politische Überzeugung erst spät – mit Ende Zwanzig – entwickelt. Vielleicht bleibt einer so, wenn er „Links- Sein“ mit einem elementaren Gerechtigkeitsgefühl verknüpft. Ströbeles Vater kritisierte hart und ungerecht, die Wut auf jede Ungerechtigkeit ist dem Sohn gelieben. Und die Suche nach Schuldigen, die ihm der Vater vorexerziert hat. Nicht nur der Jurist, auch der Politiker Ströbele sucht nach den Schuldigen. Ein typischer Charakterzug der Linken.

Weder Joschka Fischer noch Antje Vollmer will mit diesem Überzeugungstäter auf einer Abgeordnetenbank in Bonn sitzen. Dabei gilt er in weiten Teilen der Partei als Integrationsfigur. „Ich bin eben harmoniebedürftig.“ Selbst seine politischen Freunde wundern sich, was für ein gnadenloser Realist der radikale Idealist Ströbele sein kann. Wenn's drauf ankommt – wie 1989 bei den rot- grünen Koalitionsverhandlungen in Berlin – holt er heraus, was rauszuholen ist. Als echter Anwalt eben und ganz im Sinne von Max Weber: Politik ist die Kunst des Möglichen. So würde er auch eine rot-grüne Koalition in Bonn angehen: „Wenn das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen nicht gerade beschämend ist, wird es gemacht.“ Eine Ampel allerdings käme nicht in Frage.

Piefke interessiert das alles nicht mehr. Er hat die Schnauze vom Wahlkampf voll, dreht sich im Kreis, zerrt am Zügel. Die Marktfrauen betrachten ihn mitleidig. „So 'ne Aktion“, bemerkt die eine, „kann man hier auf dem Türkenmarkt ja mal machen. Aber der Esel, der Esel tut mir leid dabei.“

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