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„Man braucht nicht einmal Courage“

■ Der Berliner Polizist Reinhard Kautz beschäftigt sich seit über zwei Jahren ausschließlich mit der Vermittlung von Deeskalationsverhalten in S- und U-Bahn

Nicht nur für den Autoverkehr, meint Reinhart Kautz, auch für den öffentlichen Nahverkehr muß man heute trainiert sein. „Das Hauptproblem ist, daß es keine allgemeine Akzeptanz gibt für Abwehrverhalten. Die Leute haben Angst, aus der Masse herauszutreten, fürchten sich davor, unangenehm aufzufallen oder lächerlich zu sein, wenn sie aufstehen und rumschreien oder jemanden in Schutz nehmen.“ Kautz plädiert für Sendungen wie „Der 7. Sinn“.

„So etwas wäre dringend nötig, auch zur Gewaltabwehr“, zumal die Angst der Menschen eng damit zusammenhängt, daß sie über keinerlei Abwehrtechniken verfügen. Die Fahrgäste lassen die Gewalt einfach über sich ergehen und hoffen, daß alles gutgeht. „Dabei kann man solche Strategien schlicht lernen, man braucht nicht einmal Courage, nur ein wenig Mut.“

Zu den Erfahrungen gerade in in U- und S-Bahn gehört es, daß sich die Gewaltsituationen über mehrere Stationen hinweg hochschaukelt. Kautz empfiehlt jedem, der eine Anmachsituation beobachtet, in der U-Bahn sofort die Notbremse zu ziehen. „Dann ertönt ein Ton, der den Angreifer verunsichert. Im nächsten Bahnhof hält der Zug an, die Gefahrensituation ist damit meistens bereinigt, die Typen hauen ab.“ Wenn es sich bei den Anpöblern um eine Gruppe Skinheads handelt, sollten die Passagiere das Zugpersonal informieren und sich weigern, mit denen weiterzufahren.

In einer Berliner S-Bahn sollte die Notbremse nur am Bahnhof gezogen werden. Sonst kann die Verfolgung auf freiem Feld weitergehen, und das Opfer könnte in Panik auf die Gegengleise springen.

Kautz gibt täglich Kurse für Privatpersonen, die solche und weitere Abwehrstrategien erlernen wollen. Eng arbeitet er mit den Berliner Verkehrs-Betrieben zusammen. Sein jüngster Vorschlag: Anstatt Werbung in den Waggons Bildergeschichten anzubringen, wie Leute einem Angegriffenen helfen. „Wenn Hilfsbereitschaft wieder zur Tugend wird, haben Angreifer es schwerer. Die trauen sich nur, weil sie keine Gegenwehr fürchten. Es muß wieder in sein, aufzustehen und sich zu wehren.“

Daß Gegenwehr und Eingreifen möglich ist, haben auch eine Gruppe Berliner Studenten und Professor Peter Grottian festgestellt: „Unglaublich, was man sich hier so alles bieten lassen muß“, nölt ein Mittfuffziger in der U- Bahn mit Blick auf einen jungen dunkelhäutigen Mann, der seinen offensichtlich deutschen Freund in den Armen hält. Es folgt eine Tirade ausländerfeindlicher Kommentare. Vier Monate lang hat die Gruppe diese Situation in U- und S-Bahn durchgespielt, als Rollenspiel mit Reaktionstest. Der nölende Alte war der Professor.

Entgegen allen Hypothesen über die schweigende Masse, die wegguckt, gab es bei den Testfahrten auch positive Resonanz. „Viele haben sich eingeschaltet“, erzählt Grottian. Gerade im Ostteil Berlins seien die Reaktionen auf ausländerfeindliche Sprüche teilweise sehr aggressiv gewesen. Außerdem hätten sich mehr Frauen eingeschaltet als Männer.

Die Teststrecke von Grottian und seinen Studenten lag allerdings im Trockenen: Am hellichten Tage in gutbesetzten U-Bahnen in einer Vier-Millionen-Stadt und nicht in den nachts menschenleeren Waggons im Berliner Umland. Michaela Schießl/Jeanette Goddar

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