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Hoffen auf ein Ende der Lungenpest

Indiens Ärzte glauben die hochinfektiöse Lungenpest im Griff zu haben, die Beulenpest aber noch nicht / Bürokratie bleibt gleichgültig angesichts der desolaten öffentlichen Hygiene  ■ Aus Delhi Bernard Imhasly

Haben die Behörden die Pestepidemie unter Kontrolle gebracht? In der Stadt Surat, wo die Seuche vor einer Woche ausgebrochen ist, sterben in den Krankenhäusern zwar noch immer Menschen an der Pest – die Gesamtzahl schwankt zwischen 50 und 70 Opfern –, aber es wurden im Lauf der letzten beiden Tage nur noch wenige neue Patienten mit den typischen Symptomen eingeliefert. Damit scheint zumindest die Welle von Erkrankungen an der hochinfektiösen Lungenpest zu verebben.

Allerdings wurden jetzt in der Stadt erstmals Träger der Beulenpest identifiziert. Diese ist nicht direkt ansteckend und kann medizinisch besser gemeistert werden, da sie im Gegensatz zur Lungenpest ein langsam verlaufendes Krankheitsbild zeigt.

Die Beulenpest kann aber zur Lungenpest mutieren. Nach Meinung von Experten des Institute of Communicable Diseases in Neu- Delhi scheint dies in Surat geschehen zu sein: Die Pest galt als ausgerottet, die Spitäler diagnostizierten eine andere Krankheit, und die Pestbazillen blieben unbehandelt.

Die längere Inkubationszeit der Beulenpest bedeutet jedoch auch, daß neue Fälle unter den mehreren hunderttausend Flüchtlingen von Surat erst allmählich identifiziert werden. Es mehren sich denn auch die Berichte, daß in weiteren Bundesstaaten Indiens Personen in Quarantäne genommen wurden, welche die typischen Symptome – hohes Fieber, Schwellung der Lymphknoten – zeigen. Nicht nur in den angrenzenden Bundesstaaten Maharashtra, Madhya Pradesh und Rajasthan, sondern auch in Uttar Praesh, Orissa und Andhra Pradesh sind inzwischen in den Spitälern Isolierstationen eingerichtet worden. Bislang hat sich jedoch herausgestellt, daß die meisten der untersuchten Patienten nicht an der Pest litten.

Allerdings genügen die wenigen positiven Fälle, um der Angst vor einer Ausweitung der Krankheit immer wieder neue Nahrung zu geben. Dies betrifft vor allem Großstädte wie Bombay und Neu- Delhi, selbst im fernen Kalkutta starb am Dienstag ein Surat-Rückkehrer mit dem Verdacht der Lungenpest.

Der Abfall bleibt weiter in den Straßen liegen

Nur in der Stadt Surat ist es bisher zu Panikreaktionen gekommen. Vor allem die Armen leben in einem Umfeld, in dem verschiedenste Krankheitserreger ohnehin endemisch sind. Der Fatalismus vieler Menschen paart sich mit der Indifferenz der Bürokratie gegenüber dem desolaten Zustand der öffentlichen Hygiene und des Spitalwesens: Auch eine Woche nach Ausbruch der Pest liegt selbst in der gehätschelten Hauptstadt Neu-Delhi der Abfall weiter auf den Strassen – die Abfallberge wurden einfach mit Insektiziden wie DDT bespritzt, von denen man weiß, daß die Nager und vor allem die Flöhe – die eigentlichen Bazillenträger – dagegen resistent sind.

Nachforschungen haben ergeben, daß von den hundert aus Deutschland eingeführten modernen Mülltransportern die Hälfte nicht funktionstüchtig sind. Von den 5.000 Tonnen Abfall, welche die Zehnmillionenstadt Delhi täglich produziert, bleiben, so behauptet die Zeitung Indian Express, 2.000 Tonnen liegen; sie werden den zu Tausenden herumstreunenden Kühen zur Nahrung überlassen – und den Ratten.

Obwohl es in Indien keinen Mangel an gut ausgebildeten Ärzten gibt, sind die Spitäler oft eigentliche Krankheitsherde. Nichts zeigt dies deutlicher als die Flucht von über hundert Patienten aus dem Civic Hospital aus Surat und die Infektion von mehreren Ärzten und Krankenschwestern. Selbst der Chef-Epidemiologe des National Institute of Communicable Diseases, Dr. J. S. Rahman, musste am Dienstag nach seiner Rückkehr aus Surat in das Spital für Infektionskrankheiten der Hauptstadt eingeliefert werden. Offenbar schätzte er die Gefahr, sich dort anzustecken als noch höher ein: Trotz amtlichem Verbots verließ er die Quarantänestation noch am gleichen Tag. Auch aus anderen Bundesstaaten berichten Zeitungen, daß Patienten, die lediglich zur Kontrolle eingeliefert wurden, aus Angst vor Ansteckung das Weite suchten.

Die Situation ist unvermindert prekär. Dennoch hält man hier die Angstreaktionen im Ausland für übertrieben. Ärzte, Ausländer und Botschaftsvertreter reagieren relativ gelassen, die meisten sehen das Ansteckungsrisiko für Reise- und Geschäftstouristen als nach wie vor gering an. Abgesehen von dem besonders gefährdeten Gebiet um Surat ist die Gefahr einer Infektion, so meint ein Arzt aus Bombay, nicht größer als bei anderen tropischen Krankheiten. Die moderne Infrastruktur, die ausländischen BesucherInnen zur Verfügung steht, bietet mit der Beachtung einiger Verhaltensregeln einen ausreichenden Schutz.

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